Undank Ist Der Väter Lohn.
gewesen, jetzt waren von dem Schmuck jedoch nur noch ein paar winzige türkisfarbene Perlchen übrig, an losen Fäden aufgereiht, die beim Gehen hinter den Schuhen herschleiften.
Auf dem ungemachten Bett lagen in zerknautschtem Durcheinander ein Überwurf indischer Machart in Gelb und Orange und die Bettdecke, violett und rosarot gestreift und mit zerschlissener Satineinfassung. Shelly ließ das Bett, wie es war, und ging durch das Zimmer zu einem Waschbecken, füllte einen Topf mit Wasser und stellte ihn auf eine der Heizplatten eines Kochers, der seinen Platz auf einer zerschrammten Kommode hatte.
Es gab nur eine Sitzgelegenheit im Zimmer: einen schwarzen Futon voller Flecken in einheitlichem Grau, vielgestaltige Gebilde, die an Wolken erinnerten. Mit ein bißchen Phantasie konnte man alles mögliche in den Formen sehen, von Eichhörnchen bis zu Seehunden. Auf dem Rückweg zum Bett wies Sally auf den Futon.
»Sie können sich da hinsetzen, wenn Sie wollen«, sagte sie gleichgültig. »Einer von Ihnen muß stehen.«
Keiner von ihnen machte Anstalten, sich auf dem unappetitlichen Möbelstück niederzulassen.
»Na schön, wie Sie wollen«, sagte Shelly Platt, ließ sich auf die Matratze fallen, schnappte sich eines der beiden Kopfkissen und drückte es mit verschränkten Armen auf ihren Bauch. Mit einem Fuß trat sie ein weiteres Häufchen Kleidungsstücke weg – einen roten Lackminirock, schwarze Netzstrümpfe, die noch am Strumpfgürtel hingen, und eine grünes Top mit Flecken von ähnlicher Farbe wie die auf dem Futon. Sie beobachtete Lynley und Nkata unentwegt mit tiefumschatteten Augen, die auffällig leblos wirkten und dem Gesicht den erloschenen Ausdruck der Heroinsüchtigen verliehen, der derzeit bei den in Modezeitschriften abgebildeten Models der letzte Schrei war.
»Also, was wollen Sie? Sie kommen von der Kripo, haben Sie gesagt, nicht von der Sitte. Es hat also mit dem Geschäft nichts zu tun, oder?«
Lynley zog aus seiner Jackentasche den anonymen Brief, den Vi Nevin ihnen mitgegeben hatte, und reichte ihn Shelly Platt. Die Zähne in die Unterlippe gegraben, tat sie so, als studiere sie ihn gründlich und mit großer Nachdenklichkeit.
Nkata schlug sein Dienstbuch auf und zückte seinen Drehbleistift, während Lynley seinen Blick aufmerksam durch das Zimmer schweifen ließ. Abgesehen von dem unverwechselbaren Geruch nach Schweiß und Sex, den auch das Aroma kürzlich abgebrannter Jasminräucherstäbchen nicht überdecken konnte, fielen ihm zwei Dinge auf: Das eine war ein alter Schiffskoffer, offen, bis zum Rand gefüllt mit Kleidungsstücken aus schwarzem Leder, Handfesseln, Masken, Peitschen und ähnlichem; das andere war eine Sammlung von Fotos, die an die Wände gepinnt waren. Alle zeigten sie dieselben beiden Personen: einen jungen Burschen, meist mit einer elektrischen Gitarre ausgerüstet, und Vi Nevin in den verschiedensten Posen von verführerisch bis verspielt: kindhafter Körper und kokettes Frätzchen.
Nachdem sie den anonymen Brief gelesen hatte, hob Shelly den Kopf und sah, wie Lynley die Fotos betrachtete. »Und? Was ist damit?« fragte sie, offenbar in bezug auf das, was sie in der Hand hielt.
»Haben Sie den Brief geschickt?« fragte Lynley.
»Ich kann’s einfach nicht fassen, daß sie wegen so was die Bullen holt! Führt sich auf wie ’ne gottverdammte Diva.«
»Also haben Sie den Brief geschickt? Und andere von der gleichen Sorte?«
»Das hab ich nicht gesagt.« Shelly schleuderte den Brief auf den Boden. Sie warf sich auf den Bauch und kramte unter einem Stapel vergilbter Ausgaben des Daily Express eine bunte Schachtel Pralinen hervor. Nach kritischer Durchsicht des Inhalts fand sie ein Stück nach ihrem Geschmack und leckte es erst rundherum mit der Zunge ab, bevor sie es langsam in den Mund schob. Ihre Backen arbeiteten wie Blasebälge beim Lutschen. Sie gab ein genüßliches Stöhnen von sich.
Nkata seufzte. Er machte ein Gesicht, als fragte er sich, ob dieser Tag überhaupt noch schlimmer werden könnte.
»Wo waren Sie am Dienstag abend?« Es war im Grunde nur eine Pro-forma-Frage. Lynley konnte sich nicht vorstellen, daß diese Frau den Verstand besaß, einen Mord zu planen, geschweige denn die Körperkraft, um zwei kräftige junge Erwachsene zu töten, ganz gleich, wie Vi Nevin die Sache sah. Und dennoch stellte er diese Frage. Man konnte nie wissen, was bei einer kleinen Demonstration von polizeilichem Argwohn alles ans Licht kommen würde.
»Da, wo ich immer
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