Undank Ist Der Väter Lohn.
anbieten wollte? Barbaras erster Gedanke galt dem Kasten mit den Callgirl-Karten, den sie unter Terry Coles Bett gefunden hatte. Zweifellos waren schon verrücktere Dinge versteigert worden. Ihr fiel nur im Moment keines ein.
»Was war das? Doch keines seiner Objekte?«
»Ein Notenblatt«, antwortete Sitwell. »Er sagte, er hätte irgendwo gelesen, daß jemand die Handschrift eines Lennon- Mc-Cartney-Songs verkauft hätte – oder ein Heft mit Texten oder etwas Ähnliches –, und er wolle einen Stapel Originalkompositionen verkaufen, der sich in seinem Besitz befände. Das Notenblatt, das er mir zeigte, gehörte dazu.«
»Lennon-McCartney-Kompositionen, meinen Sie?«
»Nein. Es war ein Stück von Michael Chandler. Der Junge erklärte mir, er hätte noch ein Dutzend solcher Blätter, die wollte er alle verkaufen. Vermutlich stellte er sich einen Massenansturm von Tausenden von Musicalfans vor, die mit Freuden stundenlang anstehen würden, um für zwanzigtausend Pfund ein Blatt Papier zu ergattern, auf das ein Toter irgendwann einmal ein paar Bleistiftkritzel geworfen hatte.«
Sitwell lächelte, zeigte Barbara die Miene, die er wahrscheinlich auch Terry gezeigt hatte: Nachsicht und väterlicher Spott. Es juckte ihr in den Fingern, ihm ins Gesicht zu schlagen. Aber sie beherrschte sich.
»Die Musik war also wertlos?« fragte sie.
»Keineswegs.« Die Noten könnten durchaus ein Vermögen wert sein, erklärte Sitwell, aber das entscheidende sei, daß sie zum Nachlaß Michael Chandlers gehörten, ganz gleich, wie sie in Terry Coles Besitz gekommen seien. Bowers könne sie deshalb nur zum Verkauf anbieten, wenn die Verwalter des Chandlerschen Nachlasses den Verkauf genehmigten. Aber auch dann würde der Erlös Chandlers noch lebenden Erben zufallen.
»Und wie sind die Noten nun in seinen Besitz gekommen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er sie auf einem Flohmarkt entdeckt oder in einem Trödelladen. Ich weiß es wirklich nicht. Die Leute werfen ja manchmal wertvolle Dinge weg, ohne zu wissen, was sie da wegwerfen. Oder sie packen sie einfach in einen Koffer oder in einen Karton, bis sie dann irgendwann in fremde Hände fallen. Wie dem auch sei, der Junge hat mir nicht gesagt, wie er an die Noten gekommen ist, und ich habe nicht danach gefragt. Ich habe ihm allerdings angeboten, die Verwalter des Chandlerschen Nachlasses ausfindig zu machen und ihnen die Blätter zu übergeben, damit sie sie an die Witwe und die Kinder weiterreichen könnten. Aber Cole wollte das lieber selbst tun. Er hoffte, wie er sagte, daß es wenigstens einen Finderlohn geben würde.«
»Finderlohn?«
»So nannte er es.«
Nur eine Frage hatte der junge Mann am Ende ihres Gesprächs noch gestellt: Er hatte wissen wollen wie er diese Nachlaßverwalter am schnellsten finden könnte. Sitwell hatte ihn an King-Ryder Productions verwiesen, weil – wie jeder, der in den letzten zwei Jahrzehnten ab und zu mal Zeitung gelesen habe, wisse – Michael Chandler und David King-Ryder bis zu Michael Chandlers Tod Partner gewesen waren.
»Ich hätte ihn wahrscheinlich auch an die Verwalter von King- Ryders Nachlaß verweisen sollen«, meinte Sitwell nachdenklich und murmelte »Armer Kerl«, wohl in Gedanken an David King- Ryders Selbstmord im vergangenen Sommer. »Aber da die Produktionsfirma noch immer existiert, hielt ich es für das vernünftigste, ihn dorthinzuschicken.«
Was für eine interessante kleine Neuigkeit, dachte Barbara, und überlegte, ob sie mit dem Mord zu tun hatte oder ganz woanders hingehörte.
Während sie noch gedankenverloren schwieg, begann Sitwell, sich in Entschuldigungen zu ergehen. Es täte ihm leid, daß er ihr nicht weiterhelfen könne. Nichts an dem Besuch des Jungen sei irgendwie verdächtig gewesen; auch nicht ungewöhnlich. Er, Sitwell, hätte vollkommen vergessen, daß er Terry Cole je begegnet war, und könne sich auch jetzt noch nicht erklären, wie dieser an eine seiner Geschäftskarten gekommen sei; er könne sich jedenfalls nicht erinnern, ihm eine gegeben zu haben.
»Er hat sich eine genommen«, sagte Barbara und wies mit einer kurzen Kopfbewegung auf ein Häufchen Karten, das auf Sitwells Schreibtisch lag.
»Ach so. Ich verstehe. Ich kann mich zwar nicht entsinnen, daß er sich eine genommen hat, aber es ist natürlich möglich. Ich frage mich allerdings, wozu.«
»Um sein Kaugummi darin einzuwickeln«, erklärte sie ihm und dachte, und Gott sei gedankt dafür.
Als sie wieder draußen auf der Straße
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