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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Es entging ihm nicht, daß sie zum Telefon griff, als er ihr gedankt hatte und den Weg zu den Aufzügen einschlug.
    Er war deshalb nicht gänzlich unvorbereitet auf die Anwesenheit des uniformierten Polizeibeamten, der vor der geschlossenen Tür zu Vi Nevins Zimmer saß. Worauf er jedoch überhaupt nicht vorbereitet war, war der Anblick der Rothaarigen im zerknitterten Hosenanzug, die neben dem Bullen saß. Kaum sah sie ihn, sprang sie auf und raste ihm entgegen.
    »Das ist er! Das ist er!« kreischte sie und stürzte sich auf Reeve wie eine ausgehungerte Straßenkatze, die einen Fleischbrocken entdeckt hat. Sie schlug ihm ihre Krallen in die Hemdbrust und keifte: »Ich bring dich um! Du Schwein! Du mieses Schwein!«
    Sie schleuderte ihn an die Wand und rammte ihm den Kopf in die Brust. Sein eigener Kopf flog rückwärts und knallte gegen den Rand einer Anschlagtafel. Sein Mund klappte zu, und er biß sich auf die Zunge, schmeckte Blut. Sie hatte ihm die Knöpfe vom Hemd gerissen und wollte ihm schon an die Gurgel, als es der Constable endlich schaffte, sie wegzureißen. Worauf sie von neuem zu kreischen begann. »Nehmen Sie ihn fest! Er war’s! Los nehmen Sie ihn fest! Nehmen Sie ihn fest!«
    Der Constable verlangte Reeves Ausweis. Irgendwie gelang es ihm, eine kleine Menschenmenge zu vertreiben, die sich am Ende des Korridors versammelt hatte, um die Szene zu beobachten. Martin Reeve war ihm dankbar dafür.
    Erst jetzt, da der Constable sie auf Armeslänge von ihm abhielt, erkannte Reeve die Frau. Die Haarfarbe hatte ihn getäuscht. Als sie einander das letzte Mal begegnet waren – bei ihrem ersten und einzigen Besuch in der Firma –, war sie schwarzhaarig gewesen. Ansonsten war sie unverändert – klapperdürr, mit ungesunder Hautfarbe, schlechten Zähnen, Mundgeruch und einer Ausdünstung wie drei Tage alter Fisch.
    »Shelly Platt«, sagte er.
    »Sie waren’s! Sie wollten sie umbringen!«
    Schlimmer, dachte Reeve, kann’s wohl kaum noch werden. Aber er täuschte sich. Der Constable inspizierte seinen Ausweis, während er Shelly Platt noch immer mit Catchergriff festhielt. Er sagte: »Miss, Miss, immer eins nach dem anderen«, und nahm sie mit, als er zum Telefon ins Schwesternzimmer ging.
    »Hey, hören Sie mal«, rief Martin Reeve ihm nach. »Ich möchte doch nur wissen, wie es Miss Nevin geht. Ich habe mit einer Schwester in der Notaufnahme gesprochen. Sie hat mir gesagt, daß sie hierher verlegt worden ist.«
    »Er will sie nur umbringen!« kreischte Shelly.
    »Machen Sie sich nicht lächerlich«, entgegnete Reeve. »Ich würde wohl kaum mitten am Tag hier aufkreuzen und meinen Ausweis vorlegen, wenn ich vorhätte, sie zu ermorden. Was zum Teufel ist überhaupt passiert?«
    »Als ob Sie das nicht wüßten!«
    »Ich muß nur mal kurz mit ihr sprechen«, erklärte er dem Constable, als dieser ihm seinen Ausweis zurückgab und es ablehnte, ihn ins Krankenzimmer zu lassen. »Dieses ganze Theater ist doch lächerlich. Es dauert bestimmt nicht länger als fünf Minuten.«
    »Tut mir leid«, lautete die Antwort.
    »Jetzt passen Sie mal auf, ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Die Sache ist dringend und –«
    »Wieso nehmen Sie ihn nicht endlich fest?« rief Shelly. »Was muß er denn noch tun, bevor ihr ihn endlich in den Knast bringt?«
    »Würden Sie vielleicht dafür sorgen, daß sie mal einen Moment den Mund hält, damit ich Ihnen erklären kann –«
    »Vorschrift ist Vorschrift«, unterbrach ihn der Constable und lockerte ein wenig den Griff, mit dem er Shelly Platt in Schach hielt. Reeve mußte einsehen, daß es fürs erste das klügste war, sich zu verdrücken.
    So würdevoll wie unter den gegebenen Umständen möglich, da er dank des Gekreisches dieser rothaarigen Hexe zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit auf der ganzen Station geworden war, trat er also den Rückzug an. Unten lief er zu seinem Jaguar, warf sich hinein und schaltete die Klimaanlage ein, volle Pulle, sämtliche Klappen so geöffnet, daß die Luftströme ihm direkt ins Gesicht bliesen.
    Scheiße, dachte er. Mist, verdammter. Ihm war ziemlich klar, wen der Constable vorhin angerufen hatte. Es galt also, sich auf einen weiteren Besuch der Bullen vorzubereiten. Er überlegte, wie er seinen Besuch im Chelsea and Westminster Hospital erklären sollte. Die Behauptung, er habe sich nur seine Aussage vom vergangenen Abend bestätigen lassen wollen, würde wohl in Anbetracht der Tatsache, von wem er sich diese Bestätigung hatte

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