Undank Ist Der Väter Lohn.
dafür zu sorgen, daß das nicht passierte.
»Was wollt ihr wissen? Los, gebt mir den Stoff.«
»Unterschreiben Sie hier auf der gestrichelten Linie, Mrs. Reeve, dann bekommen Sie ihn.«
Und schon wäre der Fall erledigt. Nein. Schlimmer noch, er wäre erledigt. Er mußte also zusehen, daß seine Geschichte hieb- und stichfest war.
Er könnte natürlich jemanden zu einer Lüge nötigen – jemanden der bereits aus persönlicher Erfahrung wußte, was passieren würde, wenn er etwa Bedenkzeit verlangte oder sein – Reeves – Ansinnen gar zurückwies. Er könnte auch von jemand anderem die Wahrheit fordern, müßte dann aber darauf gefaßt sein, daß diese andere Person eine einfache Bitte um Aufrichtigkeit als ein Zeichen von Schwäche auslegen und darin eine Gelegenheit sehen würde, ihm – Reeve – alles zu entreißen, was er sich im Lauf seines Lebens unter Mühen erworben hatte. Wenn er den ersten Weg einschlug, würde er für immer in der Hand eines anderen sein. Wählte er den zweiten Weg, so würde er als Schwächling dastehen, den man ungestraft mit Füßen treten konnte.
Die Situation war also im Grunde ausweglos, und in dem Gefühl, vor einer Betonmauer gelandet zu sein, hatte Martin Reeve nur den einen Wunsch, sich eine Ladung Dynamit zu besorgen und sich seinen Weg freizusprengen.
Er fuhr nach Fulham. Dort hatten alle seine augenblicklichen Schwierigkeiten ihren Ursprung, und dort würde er ansetzen müssen, um sie wieder aus der Welt zu schaffen.
Ohne viel Mühe verschaffte er sich Zugang zu dem Haus in der Rostrevor Road: er drückte einfach auf sämtliche Klingeln und wartete, bis irgendein Schwachkopf den Türöffner betätigte, ohne sich vorher über die Sprechanlage zu erkundigen, wer ins Haus wollte.
Er lief die Treppe hinauf, blieb dann jedoch abrupt stehen. Die Tür zu der Maisonettewohnung war versiegelt. Selbst von der Stelle aus, wo er stand, konnte er lesen, was der Aufkleber besagte:
»Zutritt polizeilich verboten«.
»Scheiße«, knurrte Reeve.
Und in Gedanken hörte er wieder die leise, angespannt klingende Stimme des Bullen, so klar und deutlich, als befände sich dieser mit ihm im Treppenflur. »Ich möchte alles über Vi Nevin wissen.«
»Gottverdammte Scheiße«, fluchte er. War sie tot?
Er ging eine Treppe tiefer und klopfte die Leute heraus, die direkt unter Vi Nevin wohnten. Sie hatten am Abend zuvor ein Riesenfest gegeben, aber sie waren nicht so sehr von ihren Gästen in Anspruch genommen gewesen – oder so bezecht –, daß sie die Ankunft des Rettungswagens nicht bemerkt hätten. Die Sanitäter hatten ihr Bestes getan, um die verhüllte Gestalt, die sie aus dem Haus trugen, abzuschirmen, aber die große Eile, mit der sie sie weggebracht hatten, und das nachfolgende Erscheinen ganzer Heerscharen von Polizisten, die überall im Haus Fragen gestellt hatten, ließen vermuten, daß die Frau das Opfer eines Verbrechens geworden war.
»Ist sie tot?« Reeve packte den jungen Mann am Arm, als dieser sich in seine Wohnung zurückziehen wollte, um versäumten Schlaf nachzuholen. »Warten Sie, verdammt noch mal. War sie tot?«
»Sie war nicht in einem Leichensack«, antwortete der junge Mann gleichgültig. »Aber kann sein, daß sie im Krankenhaus gestorben ist.«
Reeve rannte fluchend zu seinem Wagen zurück und suchte seinen Stadtplan heraus. Das nächste Krankenhaus war das Chelsea and Westminster in der Fulham Road. Er fuhr direkt hin. Wenn sie tot war, war er erledigt.
Eine Krankenschwester in der Notaufnahme teilte ihm mit, daß Miss Nevin verlegt worden war. Ob er ein Verwandter von ihr sei?
»Ein alter Freund«, antwortete Reeve. Er hatte sie zu Hause besuchen wollen und von einem Unglücksfall gehört ... es sei wohl irgendwas passiert ... – Wenn er Miss Nevin nur kurz sehen könnte, um sich zu vergewissern, daß ihr nichts Ernstliches passiert war ... damit er dann ihren gemeinsamen Freunden und Miss Nevins Verwandten Bescheid geben könne ...
Ich hätte mich rasieren sollen, dachte er. Ich hätte das Armani- Jackett anziehen sollen. Er hätte sich auf Unvorhergesehenes vorbereiten müssen, nicht einfach voraussetzen dürfen, daß er nur anzuklopfen und hineinzugehen brauchte, um sie zu zwingen, das zu tun, was er wollte.
Miss Schubert – so hieß die Schwester dem Namensschild an ihrem Kittel zufolge – musterte ihn mit der unverhohlenen Feindseligkeit der Überarbeiteten und Unterbezahlten. Sie sah auf einem Plan nach und nannte ihm eine Zimmernummer.
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