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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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vergaß Barbara zu bedenken, daß St. James möglicherweise nicht allein in seinem Haus in der Cheyne Row in Chelsea sein würde. Aber die Anwesenheit seiner Frau – die oben unter dem Dach in ihrer Dunkelkammer gleich neben seinem Labor arbeitete – machte die Situation nicht annähernd so kitzlig wie die Gegenwart von St. James’ Assistentin, von der Barbara jedoch erst erfuhr, als sie hinter Joseph Cotter, St. James’ Schwiegervater, Koch und Butler, die Treppe hinaufstieg.
    »Sie sind alle drei bei der Arbeit«, bemerkte Cotter, »aber es ist sowieso Zeit für die Mittagspause, und Lady Helen wird für die Unterbrechung sicher dankbar sein. Sie legt Wert auf regelmäßige Mahlzeiten. Das war immer schon so, und daran hat sich auch mit der Ehe nichts geändert.« Barbara blieb auf dem Treppenabsatz stehen. »Helen ist hier?«
    »O ja.« Und Cotter fügte mit einem Lächeln hinzu: »Es ist schön zu wissen, daß manche Dinge immer gleich bleiben, nicht?«
    »Ach, verdammt«, murmelte Barbara unterdrückt.
    Helen war nämlich zugleich die Countess of Asherton und Ehefrau Thomas Lynleys, der – obwohl er kein Hehl daraus machte, daß es ihm anders lieber gewesen wäre – bei gewissen offiziellen Anlässen nicht umhin konnte, seinem Titel gerecht zu werden und den hochwohlgeborenen Earl in Samt und Hermelin zu spielen. Barbara konnte kaum erwarten, daß St. James und seine Frau in Helens Beisein in Schimpftiraden über Lynley einstimmen würden. Nein, unter diesen Umständen war es ratsamer, unverzüglich den Rückzug anzutreten.
    Sie wollte gerade kehrtmachen, als Helen oben im Flur erschien und lachend in Richtung Labor rief: »Schon gut, schon gut, ich hole eine neue Rolle. Aber wenn du dich entschließen könntest, den Sprung in moderne Zeiten zu wagen und endlich ein neues Gerät zu kaufen, würde uns das Faxpapier nie mehr ausgehen. Ich hätte eigentlich gedacht, daß dir so was gelegentlich auffallen würde, Simon.« Sie wandte sich von der Tür ab und sah, als sie die Treppe herunterkam, Barbara unten stehen. Ihr Gesicht leuchtete auf. Es war ein schönes Gesicht, nicht hübsch im landläufigen Sinn, aber ruhig und strahlend, von kastanienbraunem Haar umrahmt.
    »Das ist aber eine Überraschung! Wie schön! Simon, Deborah! Wir haben Besuch. Jetzt müssen wir wirklich Mittagspause machen. Wie geht es Ihnen, Barbara? Warum haben Sie sich denn in diesen ganzen Wochen nie mal blicken lassen?«
    Flucht war nicht mehr möglich. Barbara nickte Cotter dankend zu, der zum Labor hinaufrief: »Ich lege noch ein Gedeck auf«, und sich zurückzog. Barbara ergriff Helens ausgestreckte Hand. Aus dem Händedruck wurde eine flüchtige Umarmung mit einem kurzen Kuß auf die Wange, eine so herzliche Begrüßung, daß Barbara klar war, daß Lynley mit seiner Frau noch nicht über die neuesten Ereignisse im Yard gesprochen hatte.
    »Erstklassiges Timing, Barbara«, sagte Helen. »Sie haben mir soeben einen Marsch in die King’s Road erspart, um Faxpapier zu besorgen. Ich komme fast um vor Hunger, aber Sie kennen ja Simon. Warum sich mit solchen Trivialitäten wie Essen aufhalten, wenn man noch ein paar Stunden länger schuften kann? – Simon, trenn dich von deinem Mikroskop. Hier gibt’s Interessanteres zu sehen als Hautfetzchen unterm Fingernagel.«
    Barbara folgte Helen ins Labor, wo St. James seine Untersuchungen anstellte, Gutachten und Aufsätze für Fachzeitschriften schrieb und sich auf seine Seminare am Royal College of Science vorbereitete, an das er vor kurzem als Dozent berufen worden war. Im Moment schien er sich als Gutachter zu betätigen: Er saß auf einem Hocker an einem der Arbeitstische und war dabei, Objektträger, die er einem Umschlag entnommen hatte, zu ordnen. Die soeben erwähnten »Hautfetzchen unterm Fingernagel«, wie Barbara vermutete.
    St. James war ein ziemlich unattraktiver Mann, schon lange nicht mehr der unbekümmert lachende junge Kricketspieler von einst, sondern ein Invalide, behindert durch eine Beinschiene, die seine Bewegungen schwerfällig und ungelenk machte. Das anziehendste an ihm waren sein Haar, das er ohne Rücksicht auf die jeweilige Mode stets überlang trug, und seine Augen, die zwischen Grau und Blau changierten, je nach der Farbe seiner Kleidung, der er herzlich wenig Aufmerksamkeit schenkte. Er sah vom Mikroskop auf, als Barbara ins Labor trat. Ein Lächeln erhellte das zerfurchte, kantige Gesicht.
    »Barbara! Hallo!« Er ließ sich von seinem Hocker gleiten und ging auf

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