Undead 01 - Weiblich, ledig, untot
von der Dusche und er roch vage nach frischem Blut. Als ich ihn scharf ansah, sagte er schnell: »Ich habe Mitzi getroffen, als ich aus der Dusche kam. Ihr habt euch kennengelernt, wie ich gehört habe.«
»Aber ja, da hast du dir ja ein richtiges Schätzchen gean-gelt. Lass sie bloß nie wieder gehen.«
»Sie hat Angst«, sagte er in amüsiertem Ton. »Als sie sich mit dir anlegte, wusste sie nicht, wer du bist. Ich hatte alle Hände voll zu tun, sie zu beruhigen.« Ich zog es vor, auf diese alberne Vorlage nicht zu antworten. »Der macht nichts Angst. Woher kommen alle diese Bücher? Von einigen habe ich noch nie etwas gehört.«
»Nun«, sagte er mit unbewegter Miene, »Shakespeare war ein berühmter Dichter, der im Jahre . . . «
»Den kenne ich, Blödmann. Ich meine die Ratgeber-Bü-
cher für Vampire.«
»Glaubst du denn, mit dem Leben verlören wir auch unsere Kreativität, unseren Wissensdurst?«
»Nein, das denke ich nicht. Also gibt es Vampir-Verlage?«
Ich kicherte.
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»Ja.«
Ich hörte auf zu lachen. »Oh. Kann ich mir ein paar Bücher ausleihen? Mein ganzes Wissen habe ich aus der Belletristikabteilung der Bücherei und dem Kino.«
Ich sah, wie ihm ein Schauer den Rücken herunterlief.
»Bitte. Bediene dich. Ich bestehe darauf.«
»Super«, sagte ich und griff nach einigen Büchern. »Und jetzt muss ich gehen.«
»Du hast mir dein Wort . . . «
»Das weiß ich! Hör auf, darauf herumzuhacken. Aber letzte Nacht haben wir die Pirsch abgehakt . . . «
»Wohl kaum.«
»Und jetzt habe ich Hausaufgaben zu erledigen. Komm schon, lass mich das doch lesen. Morgen Nacht komme ich wieder, und du kannst mich abfragen.«
»Wirklich? Gibt es auch Strafen für falsche Antworten?«
»Äh . . . «
»Küsse?«
»Nur über meine Leiche.«
»Das dürfte kein Problem sein.«
»Habe ich schon erwähnt, dass ich solche Wortspielereien hasse? Ich gehe«, sagte ich kurz und wollte an ihm vorbei zur Tür. Der sture Kerl wich keinen Zentimeter, noch nicht einmal, als ich ihm mit meinem ganzen Körpergewicht in die Seite stieß. Also musste ICH mich grunzend an ihm vorbeischlängeln und wusste, dass er lächelte.
»Oh, und ich muss mir übrigens dein Auto ausleihen«, rief ich über die Schulter hinweg und sah zu meiner Freude, dass ihm das Grinsen aus dem Gesicht fiel.
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Ich schaltete herunter und nahm die Kurve im dritten Gang.
Der Wagen kam ins Schleudern, und ich kämpfte mit dem Lenkrad, bis er wieder geradeaus fuhr. Das Röhren des Motors – tatsächlich war das Auto so teuer, dass es eher ein Schnurren war – klang wie Musik in meinen Ohren.
Freiheit, süße Freiheit! Auf Wiedersehen, Sinclair. Bis bald, Tina. Tschüssi, Dennis, Mitzi und Karen. Na ja, vielleicht nicht Karen.
Eine Hand auf dem Lenkrad, die andere bis zum Ellbogen im CD-Fach, tastete ich, fühlte und zog. Der Soundtrack von Amadeus. Nein, danke. Ich nahm meine Hand lange genug vom Steuer, um das Fenster zu öffnen und Mozart an die frische Nachtluft zu befördern.
Beethoven: Konzert für Violine. Nicht für mich. Ich schob die CD zurück. Sentimento, Andrea Boccelli. Wer zum Teufel war die denn? Zurück damit. Mahler, Symphonie Nummer fünf. Die war sicher auch nicht besser als Nummer eins bis vier . . . schnief! Chopin: Vierundzwanzig Etüden. Et tu, Chopin? Auch du machst Bekanntschaft mit der Straße.
Wen musste ich denn beißen, um etwas Ordentliches zu hören zu bekommen? Und warum hatte ich mir einen Wagen ausgesucht, der ein CD-System auf dem neuesten Stand besaß, aber kein verdammtes Radio? Blöder Sinclair.
Selbst wenn er nicht so schrecklich arrogant gewesen wäre, hätte ich ihn allein für seinen Musikgeschmack in den Hintern treten wollen.
Blinkende rote Lichter in meinem Rückspiegel erinnerten mich daran, dass es schlimmere Dinge gab, als in Sinclairs Mercedes mit lausigen CDs festzusitzen. Wenn man nämlich zum Beispiel um halb zehn abends in einem Auto, 256
das nicht das eigene ist, ohne Führerschein von der Polizei angehalten wird. Ich fuhr rechts ran, so langsam und vorsichtig, wie ich nur konnte – toller Trick, wo ich doch vorher mit über hundertzwanzig gebrettert war –, und richtete hektisch meine Ponyfransen, während der Bär näher kam. Der Gouverneur von Minnesota mochte ja das Budget des Staates weiter herunterkürzen, aber es schien immer noch genug Staatspolizei unterwegs zu sein, um mich zu ärgern. Krankenschwestern wurden überall gefeuert, aber Polizisten gab es immer noch
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