Undercover
verwandt, dem der ganze Laden gehört, denkt Killien, als er die Lobby mit den Marmorsäulen und goldenen Zierleisten betritt. Die Blumen hier würden für mehrere Beerdigungen reichen. Ein Vorteil des Polizeiberufs ist, dass man in jeder Situation und an jedem Ort weiß, wie man sich zu benehmen hat, um möglichst wenig aufzufallen.
Killien knöpft seine zerknitterte Anzugjacke zu, geht nach links in die Bar und gibt sich demonstrativ unbeeindruckt von dem glänzenden Mahagoni, dem weichen Samt, den Asiaten, Arabern, einigen Italienern und Amerikanern. Außer dem Polizeichef scheint hier kein einziger Brite zu sein. Der Commissioner sitzt allein an einem kleinen runden Tisch in der Ecke mit dem Rücken zur Wand und dem Gesicht zur Tür. Im Grunde seines Herzens er ist doch ein Polizist geblieben, wenn auch aufgrund einiger kluger Entscheidungen - einschließlich der Eheschließung mit einer Baronin - ein gutbetuchter.
Der Commissioner trinkt Whisky, wahrscheinlich Macallan mit einer zarten Sherrynote. Die Silberschalen mit Chips und Nüssen vor ihm sind unberührt. Er ist untadelig gekleidet in grauen Nadelstreifen, einem weißen Hemd und dunkelroter Seidenkrawatte. Sein Schnauzbart ist sauber gestutzt, seine blauen Augen sind so ausdruckslos wie immer, als sei er in Gedanken vertieft, obwohl dem Alten tatsächlich nichts entgeht. Kaum hat Killien Platz genommen, taucht ein Kellner auf. Ein Glas dunkles Bier muss reichen. Killien braucht seinen Verstand noch.
»Ich muss mit Ihnen über diesen amerikanischen Fall sprechen«, beginnt der Chef. Er hat nichts übrig für Small Talk. »Sie haben sich bestimmt gefragt, warum der jetzt Priorität hat.«
»Ja, natürlich«, sagt Killien. »Ich habe keine Ahnung, was das alles soll, auch wenn das, was ich bisher gesehen habe, reichlich sonderbar ist. Zum Beispiel diese Monique Lamont …«
»Einflussreich und umstritten. Und ziemlich heiß, darf ich vielleicht hinzufügen.«
Killien denkt an die Fotos. Der Polizeichef wird sie ebenfalls gesehen haben. Killien fragt sich, ob sein Vorgesetzter ebenso darauf reagiert hat wie er selbst. Es ist nicht richtig, Aufnahmen eines Gewaltverbrechens zu betrachten und dabei zuzulassen, dass die eigenen Gedanken über die Verletzungen der Frau hinausgehen, in Bereiche, die nichts mehr mit vorschriftsmäßiger Polizeiarbeit zu tun haben. Killien kann einfach nicht aufhören, an diese Bilder zu denken, stellt sich ihre geschmeidigen …
»Hören Sie mir überhaupt zu, Jeremy?«, fragt der Commissioner.
»Ja, natürlich.«
»Sie wirken ein wenig zerstreut.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Gut. Vor einigen Wochen bekam ich einen Anruf von ihr. Sie fragte, ob mir bewusst wäre, dass ein mögliches Opfer des Boston Strangler eine britische Staatsbürgerin gewesen sei. Der Fall sei wiederaufgerollt worden, Scotland Yard könne gern daran mitarbeiten.«
»Ich wüsste wirklich nicht, warum wir uns mehr als pro forma in die Sache einmischen sollten. Klingt für mich nach Politik.«
»Ja, sicher. Sie plant bereits eine große Kampagne, darunter ein BBC-Special, für dessen Ausstrahlung sie garantiert, wenn wir uns beteiligen, und so weiter und so fort. Ziemlich dreist von ihr, anzunehmen, dass wir ihre Unterstützung brauchten, um die BBC ins Boot zu holen. Sie ist reichlich anmaßend.«
»Ich weiß nicht, wie wir ihr helfen sollen, diese Theorie zu beweisen. Es ist ja nicht mal wirklich sicher, wer dieser Boston Strangler war. Das wird man wohl auch nie erfahren«, sagt Killien.
Sein Vorgesetzter trinkt einen Schluck Whisky. »Lamonts politische Pläne sind uns egal. Typen wie sie kenne ich nur zu gut. Normalerweise würde ihr Versuch, uns in so was reinzuziehen, höflich ignoriert. Aber ich habe den Eindruck, dass es einen Aspekt gibt, den die Frau übersieht, und deshalb unterhalten wir beide uns hier.«
Der Kellner bringt das Bier. Killien trinkt einen großen Schluck.
»Als Lamont mit ihrem alten Fall an Scotland Yard herantrat, ließ ich die Sache aus reiner Höflichkeit mal prüfen. Dazu gehört natürlich auch, sich über Lamont selbst zu informieren. Reine Routine«, fährt der Commissioner fort.
»Und dabei stießen wir auf eine etwas beunruhigende Information - nicht was den Fall angeht, der ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal. Nein, über Monique Lamont selbst, über Spenden und Überweisungen, die dem amerikanischen Finanzministerium aufgefallen sind. Ihr Name ist in der Datenbank des Nachrichtendienstes DIA
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