Undercover
Carols Blick auf. Neben Carol wirkte die Londonerin noch steifer und farbloser. Wie er Carol betrachtete, sie auf den zerbrechlich wirkenden Absätzen in ihrem fast durchscheinenden, in der leichten Brise flatternden Kleid, sagte seine innere Stimme:
„Nimm’ dich in Acht.“
„ Ja, ja, natürlich “ , murmelte er.
Die Windlichter flackerten. Die Gäste waren in angeregte Gespräche verwickelt und schienen sich wohl zu fühlen.
Shane war jede Lust zu bleiben, vergangen. Er suchte Kim, um sich zu verabschieden. Sie kam gerade mit benutzten Tellern in der Hand herein.
„Ich gehe jetzt. Ist Pam denn immer noch nicht da?“
Shane folgte Kim mit seinen Krücken in die Küche, wo sie die Teller auf der Theke abstellte.
„Sie hat vorhin anger ufen. Sie übernachtet bei Drew . Es war zu spät, um noch hierher zu fahren.“
„Wieso? “
Kim nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank.
„Shane, jetzt sei bitte nicht albern! Sie ist fast erwachsen.“
„Sechzehn ist erwachsen?“
„Siebzehn, Shane, sie ist siebzehn.“
„Auch mit siebzehn ist man noch lange nicht erwachsen.“
„Pam ist vernünftig. Sie weiß, worauf sie sich einlassen kann und worauf nicht.“
„So, dann weiß sie offenbar mehr als ic h und als die meisten Menschen“, fuhr er sie an. „U nd außerdem, Kim: weiß sie denn nicht, dass ich heute hier bin?“ Er fühlte sich plötzlich von allen verraten und verlassen.
„ Sie hat jetzt Drew .“
„Ach so, und da zählt der eigene Vater plötzlich nicht mehr?“
„Shane, warum regst du dich so auf?“ Kim räumte die Teller in die Spülmaschine. „Magst du ein paar Nüsse? Da auf dem Tisch ...“
Er atmete tief ein und aus. Beim Hinausgehen hätte er beinahe eine rötliche Glasfigur gestreift, die auf einem Beistelltisch stand. Er sah genauer hin: Es war ein rotes Pferd.
Auf der Veranda drehte Frank gerade den Gashahn am Grill ab. „Genug zu essen gehabt?“, fragte er.
„Ich mag keine Garnelen, Frank“, sagte er mürrisch. „Aber, Shane, warum hast du das nicht gleich gesagt? Und warum hat Kim nichts gesagt ? Sie müsste das doch wissen! Ich hol uns noch ein paar Würstchen. Magst du Würstchen?“
„Danke, a ber ich hab’ keinen Hunger.“ Shane wollte nur noch ins Bett und schlafen.
„ K omm’ schon, du musst wieder zu Kräften kommen!“ Frank rief ins Haus: „Kim! Bring’ doch noch die Packung Würstchen aus dem Kühlschrank mit!“ Er reckte beide Daumen und zwinkerte Shane zu. Frank, dachte Sha ne, im nächsten Leben werde ich so wie du.
Frank schnüffelte in die Nachtluft.
„Ein schöner Abend, wirklich, in meinem Alter freut man sich über solche Momente.“
Beinahe hätte Shane erwidert, dass ihm die Freude an solchen Momenten vergangen war. Er traute dem schönen Moment nicht mehr, es konnte sein, dass man ihn nicht überlebte.
Kim brachte die Packung Würstchen, hielt sie mit spitzen Fingern.
„Das macht dick, Frank, mehr sag’ ich dazu nicht.“
„Richtig , Schätzchen.“ Frank nahm die Styroporpackung, gab Kim ein Wangenküsschen, riss die Folie auf und warf die blassen, dicken Würstchen auf den Grill, wo sie zischten.
An standshalber aß Shane mit Frank noch eines der wirklich fettigen Würstchen und ging.
Das Meer glänzte schwarz, und über den Mond zogen wattige Wolken, wie an jenem Abend.
24
Er sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Nur noch zwei Minuten. Der Chief mochte keine Verspätungen, das wusste er seit Jahren. Er gab Gas, bog links in die Hauptstraße Maroochydores ein. Die Leuchtreklamen der Restaur ants und Fast-Food-Ketten leuchtet en bunt in der Nacht. Genauso wie die Weihnachtsdekorationen, die überall an den Fassaden angebracht waren. Auf der in beiden Fahrtrichtungen zweispurigen Straße glitten die Wagen dahin, als ob sie ferngesteuert und auf einen bestimmten Abstand zueinander programmiert seien. Niemand schien es eilig zu haben, außer ihm. Er hätte früher losfahren sollen, doch da war noch dieses Mädchen. Sie war einmal oben bei ihm gewesen, zusammen mit ihm, Mr. Right, wie er sich angewöhnt hatte, ihn zu nennen.
Jetzt bekam sie von Mr. Right keinen Stoff mehr, war deswegen stinkwütend und hatte ihm eben die Ohren vollgejammert. Er hatte ihr etwas gegeben aber eine Gegenleistung gefordert. Sie hatte es ihm im Auto gemacht. Sie würde ihm gerne wieder einen Gefallen tun, hatte sie ihm versprochen. Er war sicher, sie würde schon bald wieder Kontakt zu ihm aufnehmen – und er würde sie gern einen Gefallen tun
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