Underground
das Gitter auf die Öffnung und zog dann die Augenbrauen hoch, um mich fragend anzusehen.
Ich schüttelte den Kopf. Mir war irgendwie mulmig zumute, und ich musste mich an der eisigen Mauer neben mir abstützen. »Er behauptet, die Schnur im Ziegelbruch weggeworfen zu haben.«
»Und wo genau? Der Ziegelbruch ist drei Blocks lang und zwei Blocks breit. Das sind sechs Blocks Fläche, die fast ungeschützt daliegt. Du kannst dich doch kaum auf den Beinen halten!«
Ich achtete nicht auf die Besorgnis, die in seiner Stimme anklang, sondern versuchte, Lass zu einer Antwort zu bewegen. Doch zur Abwechslung schwieg der Geist. Ich beschimpfte ihn heiser, erhielt als Antwort aber nur ein verächtliches Schnauben und Kichern. Es machte ihm offenbar Spaß, mich betteln zu hören, und er genoss seine Rache. Vermutlich nahm er es mir übel, dass ich ihn auf der Erde festhielt und an seine Verantwortung erinnerte.
Aber so leicht ließ ich mich nicht aus der Fassung bringen. Mit einem halsstarrigen Junkie-Geist konnte ich es jederzeit aufnehmen. Hoffte ich zumindest.
Wir verließen die Gasse und gingen zu den Bänken auf dem Pioneer Square, die vor dem Büro der Underground Tour und einigen Bars standen. Eine Gruppe Touristen folgte gerade dem Tourleiter zu den Totempfählen. Zip plauderte mit Blue Jay und rauchte eine Zigarette. Die beiden winkten uns zu und prosteten dann mit einem Bier.
Ich setzte mich auf eine der Bänke und versuchte nachzudenken. Das war zwar leichter, seitdem Lass schwieg, aber der stechende Druck seiner Präsenz ließ mich trotzdem keinen klaren Gedanken fassen. Deshalb versuchte ich es, indem ich Quinton meine Überlegungen laut darlegte.
»Also – der Ziegelbruch. Vermutlich nicht auf der Seite der First Avenue, womit wir uns schon einmal drei Blocks gespart hätten. Beim Park gibt es keinen Zugang zum Untergrund. Außer natürlich durch die Arkaden, aber die sind gut sichtbar und nachts sowieso abgesperrt. Den Occidental Park können wir also auch auslassen.«
»Damit bleiben also noch zwei Blocks.«
»Lass meinte doch, dass er die Leine weggeworfen hätte, nachdem das mit Jenny passiert sei. Wir haben ihn in dem Abschnitt unter dem Cadillac Hotel getroffen, als wir dort vor zwei Tagen auf Tall Grass gestoßen sind. Das ist derselbe Ort, an dem wir zuvor Grass und Jenny gesehen haben und wo Lass seine Auseinandersetzung mit Tanker und Bella hatte. Er meinte doch sogar, dass er dort unten lebt …«
»Und wenn es doch der andere Block ist?«
»Darum kümmern wir uns, falls wir uns irren.«
Wir standen auf und gingen zum Ziegelbruch. Mein Knie war inzwischen völlig steif und wurde zudem von einem plötzlichen Zucken durch Lass erschüttert. Seitdem ich in die Höhle des Monsters hinabgestiegen war, hatte er sich nicht mehr so heftig gewehrt. Doch jetzt schien er erneut die Nerven zu verlieren. Seine Angst war fast greifbar. Hoffentlich konnte ich sie zu meinem Vorteil nutzen, wenn ich im Ziegelbruch nach der Leine suchte.
Die Tageszeit machte es schwerer als sonst, ungesehen in den Untergrund zu gelangen. Es graute mir zudem davor, mit meinem unheimlichen Passagier einen derart von Geistern bevölkerten Ort aufsuchen zu müssen. Doch ich wollte es endlich hinter mich bringen. Weiteres Warten hätte alles nur noch schlimmer gemacht.
Auf dem Weg zum Ziegelbruch bemerkte ich, dass die Gegend weniger belebt war als sonst. Obdachlose waren kaum zu sehen, obwohl das Wetter wieder wärmer wurde. Vermutlich nahmen viele an der Mahnwache teil. Die meisten Fußgänger waren auch noch nicht auf die Stra ßen zurückgekehrt, sondern wurden offenbar weiterhin von dem kalten Wind abgehalten, der von Elliot Bay hochwehte.
Nach und nach begann uns eine Gruppe von Indianern – Lebenden und Geistern aus dem Grau – sowie die Schatten von Tieren zu folgen. Aus dem Untergrund, aus Gassen und Eingängen tauchten Menschen und Geister auf, während die Tiere aus Bäumen und Wolken erschienen. Einige lebende Vögel gesellten sich ebenfalls zu uns, und auch ein streunender Hund nahm unsere Spur auf.
Grandpa Dan befand sich an der Spitze dieser bizarren Prozession. Er schien die Menschen und die Geister mit sich zu ziehen, indem er tanzte und mit seinen alten
knorrigen Händen seltsam anmutige Bewegungen machte. Er hatte angekündigt, dass sie kommen würden, falls es nötig sein sollte. Offenbar war das jetzt der Fall. Was auch immer die Indianer und ihre geisterhafte Begleitung zu uns gebracht haben mochte –
Weitere Kostenlose Bücher