Underground
Es war Carlos.
Er saß in einer Nische mit einer Couch und einem Sessel
ohne Armlehnen. Außerdem stand dort noch ein kleiner Bambustisch mit einer Glasplatte und eine Chaiselongue aus Rattan, die wie eine lauernde Katze aussah.
Carlos – groß, dunkel und furchterregend wie immer – hatte es sich an einer Seite des Sofas bequem gemacht. Ich hatte also die Wahl, mich entweder neben ihn zu setzen – was mich nicht sonderlich reizte – oder den unbequemsten Platz zu wählen. Dort würde ich zwar mit dem Rücken zum Ausgang sitzen, aber ich hatte jederzeit die Möglichkeit, zu flüchten, falls es nötig sein sollte. Ich wählte also den Sessel.
Carlos nickte mir zu, und für einen Moment zeigte sich der Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht. Er sah gesünder aus, als ich ihn jemals erlebt hatte, wobei ich lieber nicht wissen wollte, wieso. Ich erwiderte seinen Gruß. Er schien wie immer amüsiert zu registrieren, dass ich mich in seiner Gegenwart sehr unwohl fühlte.
Keinem von uns blieb Zeit, etwas zu sagen, ehe Cameron mit drei Gläsern auf einem Tablett zu uns stieß. Er stellte die Getränke auf dem Tischchen ab, bevor er es sich in der anderen Ecke des Sofas bequem machte. Früher hatte er sich meist wie ein Teenager oder ein junger Student hingefläzt. Doch inzwischen saß er wie ein junger Tiger auf dem Sprung da. Er nahm sein Glas mit Martini. Carlos trank Rotwein, was mich nicht überraschte.
Cameron sah mich aus seinen violetten Augen an. »Also – was möchtest du wissen?«
»Wie direkt kann ich sein, ohne sofort abgemurkst zu werden?«
Cameron kicherte, ohne sich an seinem Martini zu verschlucken. Dann stellte er das Glas hastig ab. Er presste seine Nasenflügel zusammen und warf Carlos einen raschen
Blick zu. »Oh, Mann. Jetzt habe ich aus Versehen Alkohol in die Nase bekommen. Das tut weh.«
Carlos zog eine seiner schwarzen Augenbrauen hoch. »Nur weil du nicht mehr durch deine Nase atmest, bedeutet das noch lange nicht, dass sie sich verändert hat, Junge.«
»Ich werde es mir merken«, erwiderte Cameron, rieb sich die Nasenspitze und verzog das Gesicht, als ob er niesen wollte. Einen Moment später wandte er mir wieder seine Aufmerksamkeit zu. »Ich glaube, jetzt bin ich endlich so weit. Schieß los.«
Ich holte tief Luft und wagte den Sprung ins kalte Wasser. »Als du dir vor zwei Monaten Sorgen um deinen Toten gemacht hast, meintest du, dass er vielleicht als etwas anderes als ein Vampir ins Leben zurückkehren könnte – falls er überhaupt zurückkehrt. Hast du dabei vielleicht an einen Zombie gedacht?«
Die beiden warfen mir ausdruckslose Blicke zu, und ich spürte, wie die Temperatur im Raum fiel. Carlos wandte den Kopf und sah Cameron derart durchdringend an, dass dieser zusammenzuckte.
»Ich weiß nichts über Zombies«, erwiderte Cameron. »Und da letztes Mal sowieso nichts passiert ist«, fügte er hinzu und warf Carlos einen trotzigen Blick zu, sodass dieser im Grau rot zu leuchten begann, »habe ich auch nichts mit jemandem zu tun, der jetzt vielleicht durch Seattle streift. Bist du denn einem Zombie begegnet?«
Ich nickte und erklärte den beiden kurz, was vorgefallen war. Ihre Mienen wirkten angespannt und ziemlich beängstigend, während sie mir aufmerksam zuhörten. Mein Blick wanderte immer wieder zwischen ihnen hin und her, um auf keinen Fall zu lange in die Augen eines Vampirs
zu starren. »Ja. Ich … Ich bin vor einigen Nächten quasi über einen Zombie gestolpert. Die Kreatur, die ihn mitgebracht hat, hat von mir verlangt, ihn … also … Der Geist des Leichnams war in seinem Körper gefangen, und ich sollte ihn daraus befreien. Es war alles ziemlich unappetitlich.«
Ich erzählte den beiden nichts von Will, da ich Angst hatte, dass Carlos sonst auf die Idee kommen könnte, sich auch für meinen Verflossenen zu interessieren. Auch wenn wir kein Paar mehr waren, so konnte ich Will doch nicht zumuten, von Carlos belästigt zu werden. Der Vampir konnte sehr gefährlich werden, vor allem wenn er annahm, dass sich seine Welt in Gefahr befand. Ich war zwar wütend auf Will, aber so wütend dann auch wieder nicht.
Carlos beugte sich langsam vor und legte die Hände flach auf den Tisch. Der Bambus ächzte, und ich vernahm ein Geräusch, als ob eine Eisplatte gesprungen wäre. »Erzähl uns genau, was passiert ist. Was hast du getan, und was hast du gesehen?«
Ich spürte, wie er versuchte, mir seinen Willen aufzudrängen, und wich ihm aus, indem ich eine Wand aus
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