Underground
an. »Wenn ich Ihnen das erzählen würde, müsste ich Sie töten«, scherzte er, auch wenn wir beide wussten, dass
es in Wahrheit kein Witz war. »Warum sollten Sie eine solche Behauptung glauben – selbst wenn sie von einem sogenannten Freund stammt?«, fuhr er fort, wobei er das Wort ›Freund‹ besonders abfällig aussprach.
»Ich habe zwei der Leichen gesehen, und ich weiß nicht, ob es sich bei ihnen um Vampiropfer handelt. Dazu kenne ich zu wenige, um sie vergleichen zu können. Ich habe keine Ahnung, wodurch die Obdachlosen den Tod gefunden haben. Ich weiß nur, dass sie von etwas Magischem umgebracht wurden. Und dass man ihr Blut und ihre Gliedmaßen mitnahm. Oberflächlich betrachtet, klingt das nach dem Werk von Vampiren. Aber es gibt noch andere Dinge, die mir seltsam vorkommen. Außer den Obdachlosen wurden in letzter Zeit in der Gegend nämlich auch Zombies gesichtet. Einer davon könnte meiner Meinung nach sogar ein früheres Opfer eines solchen Angriffs gewesen sein. Es scheint sich um eine Art Serie zu handeln, die mindestens sechzig Jahre zurückreicht. Es kann also kaum ein Mensch sein, der diese Leute auf dem Gewissen hat. Und da Vampire deutlich länger leben als normale Menschen, fand ich Quintons Idee nicht so abwegig, wie Sie sich vielleicht denken können.«
Edward musterte mich verächtlich. »Ich kann Ihnen versichern, dass keiner meiner Leute dafür verantwortlich ist. Wir reißen nicht und erschaffen auch keine Zombies. Und falls uns Fehler unterlaufen sollten, dann stellen wir sicher, dass diese nicht nachts durch die Straßen wandeln.«
»Wenn wir also einmal davon ausgehen, dass kein Vampir dahintersteckt …«
»Es steckt kein Vampir dahinter.« Edward klang nun wütend, und seine Wut schien mir sowohl seelisch als auch körperlich einen Schlag zu verpassen. Diesmal schaffte ich
es nicht, nicht zusammenzuzucken. Mein offensichtliches Unbehagen besänftigte ihn ein wenig. Die anderen Vampire im Saal warfen uns neugierige Blicke zu und sahen dann wieder weg, wobei ich im Grau rötliche Blitze der Überraschung erkennen konnte.
»Mir fehlt zu einer solchen Behauptung leider die letzte Sicherheit«, erwiderte ich. »Ich weiß weder, was aus den Opfern von Vampiren wird, noch woher Zombies kommen. Genau deshalb bin ich hier. Irgendetwas Furchterregendes passiert in unserer Mitte, und dem muss Einhalt geboten werden. Ich bin mir sicher, es würde Ihnen nicht gefallen, plötzlich in der Weekly zu lesen, dass man blutleere Leichen am Pioneer Square gefunden hat oder dass lebende Tote durch unsere Straßen wandeln.«
»Zombies sind etwas für Nekromanten und nicht für uns«, fuhr er mich an. »Wir verwandeln unsere Opfer nur selten und mit größter Umsicht …«
»Sie meinen so umsichtig, wie Sie das bei Cameron getan haben?«
Das Knurren, das er von sich gab, schlug im Grau schwarze Wellen. »Darum geht es jetzt nicht. Diese Toten, von denen Sie sprechen, wurden weder blutleer von uns auf der Straße zurückgelassen noch in wandelnde Leichen verwandelt. Das wäre Wahnsinn, und keiner von uns ist wahnsinnig. Wenn Sie mehr wissen wollen, sollten Sie sich an Carlos wenden.«
Seine Wut löste Schwindel und Übelkeit in mir aus. Ich schluckte, blieb nach außen hin aber kühl. Zumindest hoffte ich das. »Das werde ich auch. Ich will das Ganze zu einem Ende bringen – ganz gleich, wer dafür verantwortlich ist.«
»Sie können mir glauben, Harper. Meine Leute sind es
nicht.« Er lehnte sich zurück und gab mir damit zu verstehen, dass die Unterhaltung für ihn beendet war. »Ich kann Ihnen sonst nichts sagen, werde Sie aber auch nicht in Ihren Nachforschungen behindern.«
Das wirst du bestimmt nicht, dachte ich grimmig.
»Ich werde meinen Leuten sogar befehlen, Sie und Ihren einsamen Wolf in Ruhe zu lassen, falls Ihnen das bei der Lösung des Falls helfen sollte.«
»Ja, das würde helfen. Ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie es mich wissen lassen könnten, sobald Sie etwas Relevantes erfahren, was mich weiterbringen könnte.«
Edward nickte. »Gut, kann ich machen. Wäre das jetzt alles?«
Ich blickte auf den Umschlag und den Scheck, die noch immer auf dem Tisch lagen. »Sind wir quitt?«
Seine Lippen und seine Nasenflügel zuckten, doch er nickte. »Ja, sind wir. Allerdings würde ich Ihnen raten, Ihren sogenannten Freund erst einmal genau unter die Lupe zu nehmen, bevor Sie ihm weiter vertrauen.«
Ich zog eine Augenbraue hoch, antwortete aber nicht. Dann glitt ich aus der
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