Underground
Nische. Es war keine gute Idee, Edward verärgert zurückzulassen. Ich senkte also kurz den Kopf, um eine gewisse Unterwürfigkeit zu signalisieren, und sagte dann: »Danke.«
Als ich ging, verspürte ich hinter mir im wabernden Grau eine seltsame Unruhe, als ob es mir gelungen wäre, Edward zu überraschen, obwohl ich eigentlich bezweifelte, dass so etwas möglich war. In meinem Kopf wirbelten alle möglichen Fragen durcheinander, und ich musste mir große Mühe geben, meine Aufmerksamkeit auf den gefährlichen Weg bis zur Tür zu richten. Zumindest durfte ich annehmen, dass Edwards Versprechen, uns in nächster
Zeit in Ruhe zu lassen, in der Vampir-Community ein gewisses Gewicht besaß. Allerdings traute ich Vampiren grundsätzlich nicht über den Weg, auch wenn Versprechen in diesem Umfeld eine beinahe magische Wirkung hatten. Ich hoffte jedenfalls, dass mich keiner der anderen Vampire nach meinem Gespräch mit Edward als Freiwild betrachtete, sobald ich den Club verließ. Ich beobachtete die Gäste des After Dark misstrauisch aus dem Augenwinkel. Einige gierige Blicke folgten mir. Doch zum Glück kam mir keiner nach oder erschien plötzlich auf der Straße, nachdem ich das Eisentor hinter mir zugezogen hatte.
Ich verstand nicht ganz, weshalb Edward so empört und angewidert auf die Zombies reagiert hatte. Aber seine Reaktion hatte mich davon überzeugt, dass er die Wahrheit sagte. Die Vampire hatten nichts mit den Todesfällen um den Pioneer Square zu tun. Natürlich konnte man ihn und sein Rudel nicht völlig freisprechen. Ich wusste zwar, dass sie sich überall auf die Lauer legten, doch diesmal war es nicht ihr Werk. Zumindest konnte es kein Vampir sein, der unter Edwards Schutz stand – damit also auch nicht Carlos. Da Carlos sowohl Vampir als auch Nekromant war, schien es mir der nächste logische Schritt zu sein, ihn aufzusuchen – eine Vorstellung, die mich noch mehr erschreckte, als es das Gespräch mit Edward getan hatte. Ich hegte wirklich kein Verlangen danach, wieder von Verzweiflung und Horror erfüllt zu werden, wie ich das bei unserem letzten Treffen erlebt hatte. Noch weniger wollte ich in seiner Schuld stehen.
Mir kam eine Idee. Vielleicht musste ich gar nicht mit Carlos sprechen. Schließlich hatte ich seinem Schützling Cameron vor einiger Zeit bei einem Problem mit einem Toten geholfen, von dem er nicht wusste, ob er als Vampir
wiederauferstehen würde oder nicht. Damals hatte Cameron angedeutet, dass es wesentlich schlimmere Dinge gab, als ich mir vorstellen konnte. Für mich war bereits die Vorstellung schlimm genug, dass ein Vampiropfer als Vampir weiterleben würde. Doch Camerons Bemerkung hatte mir gezeigt, dass ich noch lange nicht alles wusste. Es gab nicht viel, was einen Vampir – selbst einen jungen – aus der Fassung brachte. Cameron allerdings hatte sich eindeutig gefürchtet. Vielleicht stand das Ganze ja mit meinem augenblicklichen Fall in Zusammenhang?
Ich hatte mehr als einmal geholfen, Camerons chaotisches Leben oder vielmehr Un-Leben in Ordnung zu bringen. Und außerdem fand ich ihn nicht sonderlich bedrohlich. Jedenfalls noch nicht. Also holte ich mein Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer. Er hob sofort ab.
»Hi, Harper.«
»Hi, Cam. Hör zu, ich habe ein Problem, und ich könnte mir vorstellen, dass du mir weiterhelfen könntest.«
»Wirklich? Dann schieß los.«
»Ich würde dich lieber persönlich sprechen. Es könnte etwas länger dauern.«
Ich hörte, wie er die Hand über die Muschel legte. Einige Zeit lang klang seine Stimme verschwommen. Dann sprach er wieder klar in den Apparat.
»Gut. Wir sind in einer Viertelstunde beim Big Picture. Unten im Keller. Geh am besten gleich die Treppe runter und bieg nach der Rampe links ab. Bis gleich.«
Er ließ mir keine Zeit, ihn zu fragen, wen er mit »wir« meinte, sondern legte sofort wieder auf. Es passte mir überhaupt nicht, einen weiteren Vampir zu treffen. Aber zumindest schien mir der Ort, den er gewählt hatte, recht sicher zu sein. Ich war zwar noch nie dort gewesen, hatte
aber bereits davon gehört. Das Big Picture war ein winziges Kino in einer Bar unter dem El Groucho. Man konnte dort Räumlichkeiten für private Anlässe mieten, sodass ich annahm, dass wir dort ungestört reden konnten.
Ich war für das kalte Wetter mit meinen eleganten Klamotten viel zu dünn angezogen. Auch mein Knie zeigte sich nicht begeistert. Um es nicht noch weiter zu reizen, indem ich zu Fuß ging oder in der Kälte
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