Underground
schon zuvor bemerkt hatte. Also rannte ich zu dem Schuppen, in den es sich gerade zurückziehen wollte, und blieb ein paar Schritte vor der jungen Frau stehen.
»Geh nicht. Ich tue dir nichts. Ich möchte nur mit dir reden.«
Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre geflochtenen schwarzen Zöpfe hin und her flogen. Dann wich sie noch weiter zurück. Sie trug ein dünnes, zerrissenes Baumwollkleid,
das bis zu ihren nackten Füßen herunterreichte. Ich betrachtete sie aufmerksam. Sie war Indianerin. Ich hingegen musste in ihren Augen eine seltsam aussehende, große wei ße Frau sein, die in einer Gasse voll Kinderprostituierter eigentlich nichts zu suchen hatte. Es war demnach nicht überraschend, dass sie sich vor mir fürchtete.
Also ging ich vor ihr in die Hocke. Der Gestank der Straße stieg mir noch unangenehmer in die Nase als zuvor, während ich das Mädchen genauer betrachtete. Es erschreckte mich, wie jung es noch war. Meiner Meinung nach konnte die Kleine nicht viel älter als zwölf sein. Zum Glück bemerkte mich keiner der Männer oder der anderen Mädchen. Ein Freier trat sogar durch mich hindurch und jagte mir dadurch einen kalten Schauer über den Rücken.
Das Mädchen wich bis zum Eingang des Schuppens zurück. »Nein, Geist, verschwinde von hier! Ich will nicht mit dir sprechen.«
Ich streckte meine Hände aus, um ihr zu zeigen, dass ich nichts hatte, womit ich ihr Schaden zufügen konnte. »Ich brauche deine Hilfe.«
Sie sah mich misstrauisch an. »Wofür?«, fragte sie. Vermutlich befürchtete sie, dass ich sie in eine Falle locken würde.
»Ich suche nach … nach einer Kreatur. Nach einem Monster, das nicht hier sein sollte. Ich will es verjagen. Es tut den Menschen weh. Es tötet sie. Es hat auch hier in der Gegend getötet.«
Das Mädchen drückte sich an die Wand des Schuppens. »Ein Zeqwa?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Es ist ein Monster.«
»Ein Monster«, wiederholte das Mädchen, nickte und kam nun doch etwas näher. Ihr Englisch klang ungeübt, so als ob es nicht ihre Muttersprache wäre. »Ein Zeqwa.« Sie schüttelte den Kopf, als ob sie mich bedauern würde, und ließ sich dann vor mir auf dem Boden nieder. »Dummer Geist. Es gibt viele Zeqwa. Manche fressen Kinder.«
Nun hatte ich verstanden, dass ein Zeqwa ein Monster war und es offensichtlich verschiedene Arten gab. Doch nach welcher Art suchte ich?
»Ja, manche fressen Kinder«, stimmte ich zu. »Aber dieses frisst jeden Menschen, den es finden kann. Es kann sich durch Wände fressen und Menschen fangen. Einige frisst es, und andere können nach dem Tod noch herumlaufen. Kennst du dieses Monster?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kein Monster, das frisst oder Leute herumlaufen lässt. Aber ich habe Sistu auf dem Wasser und an Land gesehen. Ich habe ihn …«
Sie zeigte in die Gasse und auf die dahinter liegenden Gebäude. »Ich habe ihn hier gesehen.«
»Wer oder was ist Sistu? Eine Art von Zeqwa?«, fragte ich. Mir fiel auf, dass ich vor Spannung die Stirn runzelte, und hoffte, das Mädchen nicht zu erschrecken. Außerdem begann mir mein Knie wieder ziemliche Scherereien zu machen. »Ein Monster. Ein …« Sie vollführte mit beiden Händen eine Bewegung, die ich nicht ganz verstand. Als sie das bemerkte, fuhr sie mit dem Finger über den sandig schmutzigen Boden und zog eine lange Linie, während sie ein zischendes Geräusch von sich gab.
»Eine Schlange«, meinte ich.
»Eine große Schlange«, korrigierte sie mich. »So groß wie du.«
»Wie eine Seeschlange?«
»Ja, wie eine Seeschlange! Aber sie kann auch an Land. Sistu hat drei Köpfe. In der Mitte der Kopf eines Menschen und an den Enden Schlangenköpfe. Er hat sehr viele Zähne. Und er ist sehr hungrig und sehr stark. Sein Blut verwandelt in Stein und sein Blick auch. Ich habe Sistu hier unten im Dunklen gesehen.«
»Woher kam er? Und wo lebt er?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Er lebt im Tümpel, und er kommt aus dem Wasser.« Dann warf sie einen Blick über meine Schulter. Ich spürte die Gegenwart eines anderen Geistes, der beinahe auf mich stieg.
Also erhob ich mich, drehte mich um und trat beiseite, um den Geist eines Mannes in Arbeitskluft vorbeizulassen. Er blieb vor dem Mädchen stehen und streckte ihm eine Handvoll Münzen entgegen, in denen sich die Phantomsonne jenes Tages widerspiegelte.
Das gespenstische Mädchen stand auf, nahm das Geld entgegen und betrachtete es misstrauisch. Dann setzte es ein mechanisch wirkendes
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