Underground
Lächeln auf und bedeutete dem Mann, ihm in den Schuppen zu folgen. Kurz bevor sich der schäbige Vorhang wieder über das Eingangsloch legte, sah ich, wie die Miene der Kleinen erneut undurchdringlich wurde. Die Zeitschleife hatte sie wieder und würde nun wie zuvor ihr endloses Spiel mit ihr fortsetzen.
Ich ging ein paar Schritte weiter, ehe ich die Hand ausstreckte und nach den Rändern der Zeitfalte fasste. Vor Machtlosigkeit und Frust die Zähne aufeinanderbeißend, kehrte ich in die normale Welt zurück.
Als ich wieder im gespenstischen Tunnel unter der Stra ße auftauchte, prallte ich fast mit Quinton zusammen. Vor Anspannung tat mir mein Kiefer weh. »Ich will sofort hier raus«, erklärte ich und eilte weiter.
»Was ist passiert?«, fragte er, nachdem er mich eingeholt hatte. Er wies mit dem Kopf auf einen Ausgang ganz in unserer Nähe.
»Ich habe mit dem Geist einer Kinderprostituierten gesprochen. Eine Indianerin. Das Mädchen hat mir erzählt, dass es einen Zeqwa – ein Monster – namens Sistu gesehen hat, und zwar etwa zur Zeit der ersten Todesfälle.«
»Glaubst du, dass es sich um das Monster handeln könnte, nach dem wir suchen?«
»Ich weiß es nicht. Zeitlich würde es in etwa hinkommen. Aber sie hat behauptet, dass es sich um eine Art Seeschlange mit drei Köpfen handelt.«
»Und du glaubst nicht, dass es eine dreiköpfige Seeschlange gewesen sein könnte, die für diese Morde verantwortlich ist?«
Ich merkte, wie ich ungeduldig wurde, und blieb stehen, um tief Luft zu holen und mich zu beruhigen. »Ich weiß nicht. Die Beschreibung des Mädchens ergibt keinen Sinn. Mann, Quinton, sie war erst zwölf oder so. Ein Kind und schon eine Prostituierte!«
Er legte mir die Hände auf die Schultern. »Beruhige dich, Harper. Es stimmt, sie war ein Kind. Aber du kannst nichts dagegen tun. Jetzt jedenfalls nicht mehr. Wir sollten lieber mehr über dieses Monster herausfinden. So bekommen wir vielleicht weitere Anhaltspunkte. Aber nun beruhige dich erst einmal und sieh zu, dass du gut hier rauskommst. Wir wollen schließlich nicht erwischt werden.«
Ich riss mich zusammen und humpelte Quinton hinterher. Da ich es diesmal schaffte, nicht völlig verschmutzt wieder aus dem Untergrund aufzutauchen, gingen wir zu Zeitgeist Coffee, um uns aufzuwärmen. Eine Weile saßen wir da und überlegten, was wir als Nächstes tun konnten.
»Ich finde, wir sollten uns die alten Zeitungen in der Bibliothek ansehen«, schlug Quinton vor. »Die Zentralbibliothek hat noch ein paar Stunden offen. Vielleicht finden wir ja jetzt etwas heraus, nachdem wir wissen, wonach wir suchen müssen.«
»Ich muss Fish anrufen und ihn fragen, was er über dieses Sistu-Monster weiß. Vielleicht hat es ja besondere Eigenschaften oder ein Kennzeichen, nach dem wir Ausschau halten können.«
»Und wir könnten in der Bibliothek nachschlagen, ob wir dort irgendwelche Informationen darüber entdecken. Falls es sich um eine örtliche Legende handelt, könnte es in der Abteilung für Volks- und Indianerkunde vielleicht etwas dazu geben.«
Ich nickte und holte mein Handy heraus, um Fish anzurufen. Die Erinnerung an das gespenstische Mädchen quälte mich zwar noch immer, aber Quinton hatte recht. Es gab nichts, was ich für sie tun konnte. Sie war bereits vor langer Zeit gestorben, und ihr Leben ließ sich nicht mehr verändern. Trotzdem fragte ich mich, was sie wohl dazu gebracht hatte, sich in dieser Gasse zu verkaufen. Doch da mich dieser Gedanke allein bereits wieder aufregte, schob ich ihn nach einer Weile beiseite.
Als ich anrief, wollte Fish gerade gehen. Ich befragte ihn zu Sistu.
»Äh«, sagte er. »Nein … Ich glaube nicht, dass ich jemals etwas über ein Sistu gehört habe. Aber Zeqwa ist Lushootseed für ›Monster‹ und zwar für jede Art von Monster – von einer menschenfressenden Robbe bis zu einem Oger oder einem Riesenhund. Dieses Wesen, von dem Ihre Informantin gesprochen hat, muss also aus der Gegend um Washington oder British Columbia stammen. Ich frage
mal meine Mutter und meine Großmutter. Eine der beiden wird es sicher kennen.«
»Ausgezeichnet. Vielen Dank, Fish. Soll ich Sie anrufen, oder melden Sie sich bei mir?«
»Ich rufe Sie an. Aber vorsichtshalber gebe ich Ihnen auch gleich noch meine Handynummer. Ich habe nämlich ein paar Tage frei.«
Ich notierte mir die Telefonnummer und verabschiedete mich dann.
Quinton beobachtete mich, während er einen Schokoladendonut in seine Einzelteile zerlegte.
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