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Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Titel: Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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wenn ich nach ihm horche, höre ich ihn manchmal. Er wartet.
    Ich frage mich, ob Mama ihn wohl auch spürt.
    «Du musst lernen, ihn auszusperren», sagt sie, als ich sie danach frage. «Es wäre gut, wenn du lernst, dein Einfühlungsvermögen komplett zu blockieren, denn es wird Momente geben, in denen du genau das tun musst.»
    «Aber wie?»
    «Es ist, als ob du eine Tür zumachst», antwortet sie. «Du errichtest eine spirituelle Barriere zwischen dir und deinem Gegenüber.»
    «Eine spirituelle Barriere?»
    «Du verschließt dich vor der Kraft, die uns alle miteinander verbindet. Langfristig würde es dir schaden. Es würde dich gefühllos machen, wenn du es immer wieder tust, aber für den Moment könnte es die beste Lösung sein. Nur damit du ohne allzu viel Ablenkung die Schule beenden kannst. Versuch es mal.»
    «Was? Du meinst jetzt gleich? Bei dir?»
    «Ja», sagt sie. Sie streckt die Hand aus, nimmt meine Hand. «Richte dein Einfühlungsvermögen auf mich.»
    Aus irgendeinem Grund macht mir das ein bisschen Angst.
    «Ich weiß nicht», sage ich. «Ich kann das nicht auf Kommando. Mein Einfühlungsvermögen funktioniert nur dann auf Befehl, wenn ich mit Christian zusammen bin. Und manchmal … ich empfange nicht nur Gefühle von den Menschen. Es sind auch Gedanken. Wie kommt das?»
    «Unsere Gedanken und unsere Gefühle sind sehr eng miteinander verbunden», erklärt sie mir. «Erinnerungen, Bilder, Wünsche, Gefühle. Du scheinst begabt zu sein, wenn es um Gefühle geht. Es wird stärker werden, wenn du den anderen berührst, wenn Haut auf Haut trifft. Und manchmal empfängst du vielleicht ein Bild oder einen bestimmten Satz, den der andere gerade in dem Moment denkt. Aber meist werden es Gefühle sein, denke ich.»
    «Kannst du das auch?»
    «Nein.» Einen Moment lang senkt sie den Blick. «Gefühle greife ich nicht oft auf. Aber ich bin telepathisch veranlagt. Ich lese Gedanken.»
    Hoppla, das ist ja mal eine Neuigkeit! Kein Wunder, dass sie mir immer zwei Schritte voraus zu sein scheint. Als ich klein war, habe ich ernsthaft geglaubt, sie hätte Augen hinten im Kopf.
    Ja, das ist ein äußerst wirksames Werkzeug für Eltern bei der Erziehung , sagt sie in meinem Kopf. Sie lächelt. «Guck mich nicht so an, Clara. Ich habe doch nicht alles gelesen, was du in deinen wachen Momenten gedacht hast. Meistens bleibe ich aus den Köpfen der anderen fern, vor allem aus den Köpfen meiner Kinder, denn ihr habt ein Recht auf eine gewisse Privatsphäre.»
    Und jetzt wollen wir üben , sagt sie. Öffne dich. Versuch zu fühlen, was ich fühle.
    Ich schließe die Augen, halte den Atem an und horche, als ob das, was sie fühlt, etwas ist, was ich hören könnte. Plötzlich blitzt ein blasses Rosa hinter meinen Augenlidern auf. Ich stöhne.
    «Rosa», flüstere ich.
    «Konzentrier dich darauf.»
    Ich versuche es. Ich versuche, in das Rosa zu schauen, bis ich allmählich Kopfschmerzen bekomme. Und gerade als ich schon aufgeben will, sehe ich, dass es Vorhänge sind, rosafarbene Vorhänge mit Ösen, die an einem Fenster hängen.
    Rosafarbene Vorhänge mit Ösen sind kein Gefühl.
    Aber da ist noch etwas – Gelächter, ein lachendes Baby, die Art Lachen, bei dem man denkt, die Lachenden machen sich gleich in die Hose, so heftig lachen sie. Auch ein Mann lacht, ein sympathisches Lachen voller Entzücken. Ich erkenne es. Mein Vater. Die Kehle wird mir eng, wenn ich an meinen Vater denke.
    «Lass nicht zu, dass deine eigenen Gefühle dazwischenfunken», sagt Mama.
    Rosa. Gelächter. Wärme. Ich spüre, was es ihr bedeutet. «Freude», sage ich schließlich. Ich mache die Augen auf.
    Sie lächelt. «Ja», sagt sie. «Das war Freude.»
    «Mama …»
    «Jetzt versuch, es auszusperren.»
    Wieder schließe ich die Augen, aber diesmal stelle ich mir vor, dass ich in dem Raum zwischen uns eine unsichtbare Wand erbaue, Ziegel für Ziegel, Gedanke für Gedanke, bis da nichts mehr ist hinter meinen Augenlidern, keine Farbe, kein Gefühl, nichts, nur Grau und inhaltlose Leere.
    «Okay, ich fühle nichts.» Ich öffne die Augen wieder, und sie hat einen seltsamen Gesichtsausdruck: Erleichterung.
    «Gut gemacht», sagt sie und entzieht mir ihre Hand. «Jetzt musst du das üben, bis du jeden aussperren kannst, den du aussperren willst, und wann du es willst.»
    Das wäre bestimmt sehr nützlich.
    Die ganze nächste Woche, wann immer ich Samjeeza in der Nähe der Schule spüre, arbeite ich also intensiv daran, eine spirituelle Barriere

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