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Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Titel: Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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ruft Tucker hinter mir her, als ich loslaufe. «Du rennst zu ihm?»
    «Bleibt hier!», schreie ich über die Schulter zurück.
    Mehr Zeit für Erklärungen nehme ich mir nicht. Ich mache mir keine Gedanken darüber, wie all das wohl auf die anderen Schüler wirkt. Ich laufe einfach nur. Ich stürze aus der Cafeteria und den Korridor hinunter, stürme durch die Seitentür raus, renne direkt auf den Parkplatz zu, folge dem Kummer. Dann sehe ich Jeffrey; er geht zwischen den Autos hindurch, den Kopf erhoben, als ob er auf etwas horche. Seltsam. Er folgt dem Ruf.
    «Jeffrey!», brülle ich.
    Er bleibt stehen, wirft mir über die Schulter einen Blick zu. Wendet sich wieder zum Feld um. Jeden Moment ist er am Ende des Parkplatzes. Ich laufe so schnell, wie ich noch nie gelaufen bin, achte nicht darauf, ob mich jemand sieht. Ich konzentriere mich darauf, die Entfernung zwischen meinem Bruder und mir zu verringern. Ich konzentriere all meine Kräfte darauf, ihn zu retten. Und genau an dem niedrigen Holzzaun, hinter dem das Feld beginnt, erreiche ich ihn. Ich packe ihn bei den Schultern und ziehe ihn so heftig nach hinten, dass wir beide das Gleichgewicht verlieren und fallen. Er versucht, mich abzuwehren.
    «Jeffrey», keuche ich. «Hör auf.»
    «Gott, Clara. Jetzt beruhige dich mal wieder. Es ist doch bloß ein Hund», sagt er und versucht weiter, mich abzuschütteln.
    Ich rappele mich auf, lasse ihn aber nicht los. Dann schaue ich aufs Feld. Er hat recht. Es ist ein Hund, ein großer schwarzer Hund, etwa von der Größe und dem Aussehen eines Labradors. Es ist etwas Wölfisches an der Art, wie er so ruhig dasitzt, uns ansieht, das eine Ohr hochgereckt, das andere leicht abgeknickt. Und es liegt etwas Menschliches in seinen gelben Augen.
    «Na siehst du, es ist bloß ein Hund», sagt Jeffrey wieder. «Er hat sich irgendwie verletzt.» Jeffrey tritt noch näher an den Zaun. «Ja, ist ja gut, bist ein braver Junge.»
    Ich reiße ihn zurück, schlinge beide Arme um ihn und halte ihn umklammert. «Das ist kein Hund. Guck auf sein Ohr. Siehst du, sein rechtes Ohr ist verstümmelt. Das kommt daher, dass ich es ihm letzten Sommer abgerissen habe. Es wächst nach. Siehst du an seiner Schulter, die blutende Stelle? Da hat Mr Phibbs ihn mit dem Pfeil aus himmlischem Glanz erwischt.»
    «Was?» Jeffrey schüttelt den Kopf, als hoffe er, dann wieder klar denken zu können.
    «Das ist ein Schwarzflügel.»
    Der Hund steht auf. Nähert sich dem Zaun. Winselt. Ein leises klagendes Geräusch, das den Kummer noch verstärkt. Komm. Komm.
    «Das ist Samjeeza», beharre ich, will Jeffrey an der Schulter zurückziehen, aber er ist stärker als ich. Ich bewege ihn nicht von der Stelle.
    «Jetzt bist du endgültig übergeschnappt», sagt Jeffrey.
    «Nein, das ist sie nicht, mein Junge», hören wir eine Stimme. Mr Phibbs, hinter uns, und er kommt schnell heran. «Kommt weg da jetzt, Kinder», sagt er.
    Jeffrey hört auf, mich zu schubsen. Wir drehen uns um und gehen langsam auf Mr Phibbs zu. Der hält den Blick starr auf den Hund gerichtet, der weiterhin herzzerreißend heult.
    «Was denn, willst du etwa noch einen?», fragt Mr Phibbs. «Diesmal kann ich dir einen direkt zwischen die Augen jagen.»
    Der Hund heult wieder, ein Laut so voller Hass, dass sich mir die Haare im Nacken aufrichten. Dann verschwindet er. Kein Fluch, kein Zauberspruch, nichts. Ein frostiger Hauch in der Luft, eine Ahnung von Ozon, dann ist er weg.
    Wir alle brauchen einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen.
    «Irre», sagt Jeffrey schließlich. «Ich hätte ihn mit nach Hause genommen, hättest du mich nicht davon abgehalten.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Engel auf meiner Türschwelle
    Seitdem spüre ich Samjeeza fast jeden Tag auf diesem Feld. Er ruft nicht immer nach mir, mit dieser traurigen, verführerischen Melodie, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Aber er ist da, und sei es auch nur für fünf Minuten. Ich soll wissen, dass er in meiner Nähe ist.
    Er richtet keinen Schaden an, verletzt keinen Schüler, zeigt sich nicht. Er greift uns nicht an, wenn wir auf dem Weg in die Schule oder nach Hause sind, aber er weiß jetzt, wo wir wohnen. Er folgt uns nach Hause. Wenn ich im Haus bin, spüre ich ihn meist nicht, weil unser gesamtes Grundstück geweiht und das Gelände so groß ist, von der Hauptstraße bis zum Wald und dem Bach hinter dem Haus reicht. Er kommt nicht nahe genug heran, dass ich ihn schmerzhaft spüre. Aber wenn ich mich auf ihn konzentriere,

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