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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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für mich die glücklichste überhaupt war. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich alles noch einmal so machen. Ich bedaure nichts.»
    Einen Moment lang schweigt er. «Diesmal ist es wirklich Lebwohl», sagt er, und ich weiß nicht, ob er das als Frage meint oder ob er einfach nur versucht, diese Vorstellung zu verarbeiten.
    «Es ist wirklich Lebwohl.»
    «Nein», sagt er an meinem Ohr. «Nein. Das akzeptiere ich nicht. Clara …»
    «Es tut mir leid, Tuck. Ich muss jetzt auflegen», sage ich, dann beende ich das Gespräch. Und weine. Und weine.

    Lange Zeit sitze ich auf dieser Schaukel, im Regen, ich denke nach, ich versuche, die Fassung wiederzugewinnen. Ich versuche, mir Chicago vorzustellen, mir auszudenken, wie es da wohl sein wird, aber alles, was mir in den Sinn kommt, ist die riesige Silberbohne, die verspiegelte Statue im Millenium Park. Dazu noch all die Hochhäuser. Und Oprah Winfrey, die ihre Show aus Chicago sendet. Und American Football mit den Chicago Bears.
    Ich schaue hinauf zu den grauen vorbeiziehenden Wolken.
    Ist das mein Schicksal? , frage ich sie. Mit Christian zusammen zu sein? Nach Chicago zu gehen? Web zu beschützen, weil seine Mutter nicht hier sein kann?
    Ist das meine Aufgabe?
    Die Wolken haben darauf nicht gerade viele Antworten.
    Zum ersten Mal im Leben wünsche ich, ich hätte eine Vision. Beinahe vermisse ich meine Visionen. Eine ziemliche Ironie, ich weiß. Jede Nacht, wenn ich im Bett liege, warte ich auf den unruhigen Schlaf und frage mich, ob die Vision wohl kommen wird. Ob dies die Nacht ist, in der die mysteriöse Szene sich hinter meinen Augenlidern wie ein Filmtrailer abspielen wird und die ganze Prozedur von vorn beginnt: das Durchforsten der Fragmente, der Details, der Gefühle, dann der Versuch zu verstehen, zu was sich das alles zusammenfügen wird. In dem Moment, ehe ich die Augen schließe und mich der Finsternis der Nacht, dem Schlaf überlasse, spannt sich mein Körper unter der Bettdecke an. Mein Atem geht schneller. Ich warte.
    Ich hoffe, dass sich eine Vision einstellen, dass es etwas geben wird, das ich, nach Gottes Willen erledigen soll. Irgendetwas.
    Ich hoffe auf Anleitung. Einen Pfad, den ich beschreiten soll. Ein Zeichen.
    Aber ich hoffe vergeblich.
    Hinter mir, in einer hoch aufragenden Kirche aus rotem Backstein, läuten die Glocken. Ich zähle die Schläge – es sind zehn – und stehe auf. Ich sollte zu Christian zurück.
    Aber dann, als die letzten Glockenklänge verhallen, kommt mir ein Einfall, der Donnerschlag einer plötzlichen Eingebung.
    Ich könnte die Vision herbeirufen. Oder wenigstens könnte ich es versuchen.
    Ich schaue mich um. Niemand sonst ist hier im Park, was nur logisch erscheint. Man muss schon ziemlich verrückt sein, um bei einem solchen Regenschauer nach draußen zu gehen. Ich bin allein.
    Ich lächle und schließe die Augen. Ich konzentriere mich.
    Und der himmlische Glanz erscheint, als hätte er mich nie im Stich gelassen. Er erscheint. Wahrscheinlich dank der Kongregation, denke ich.
    Ich stelle mir Sonnenschein vor. Eine gerade Reihe Palmen. Rote Blumen in einer Linie entlang eines Pfades aus Steinen im violett-hellbraunen Schachbrettmuster.
    Ich denke an Stanford.
    Ich wechsle hinüber.

    Der Innenhof ist weitgehend menschenleer, als ich auf die Memorial Church zugehe. Die letzten Stufen zur Kirche hinauf nehme ich praktisch im Laufschritt. Lange darf ich mich nicht hier aufhalten, denke ich. Christian wird sich Sorgen machen.
    Es ist noch früh, und nur ein einziger Mensch geht durch das Labyrinth, als ich nach vorn ins Hauptschiff der Kirche gehe: ein Typ im roten Shirt, der leise vor sich hin brummelt, während er das Muster auf dem Boden abschreitet. Ich ziehe mir die feuchten Schuhe aus, gehe zum Eingang des Kreises und mache mich langsam auf den Weg, folge den Drehungen und Windungen des Musters, versuche, meinen Kopf frei zu machen von allem, was mich blockiert.
    Zeit zu meditieren. Flüchtig mache ich mir Sorgen, ich könnte vor diesem Typen im roten Shirt im Glanz zu leuchten beginnen, aber er scheint in seine eigenen Gedanken versunken zu sein, und ich kann nicht warten.
    Eine Weile gehe ich im Kreis herum, denke an gar nichts, bewege nur rein automatisch die Füße, folge dem Pfad vor mir, dann bleibe ich stehen und schaue auf die Uhr.
    Seit zehn Minuten bin ich hier, und ich bin noch keinen Schritt weitergekommen.
    Vielleicht ist das ja alles nur ein Hirngespinst. Bislang ist es mir noch nie gelungen, eine Vision

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