Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
nicht gänzlich unangenehm. Er mag Asael nicht allzu gern. Was für mich von Vorteil ist.
«Ja. Wirst du mir helfen?»
«Und das alles für eine einzige Geschichte? Glaubst du etwa, ich bin ein Narr?»
«Tja, dann ist unsere Unterhaltung wohl zwecklos.» Ich zucke mit den Schultern und stehe auf, klopfe mir Gras aus den Jeans. «Ach, na ja, den Versuch ist es immerhin wert gewesen.»
«Warte», sagt er. Seiner Stimme fehlt jetzt jeglicher Humor. «Ich habe nicht direkt nein gesagt.»
Hoffnung und Schrecken erblühen gleichzeitig in meiner Brust. «Dann bringst du mich hin?»
Er zögert. «Es ist wirklich gefährlich, für uns beide, aber vor allem für dich. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass du gefangen wirst …»
«Bitte», sage ich. «Ich muss es versuchen.»
Er schüttelt den Kopf. «Du verstehst das Wesen der Hölle nicht. Sie wird dich verschlucken. Es sei denn …» Er geht ein paar Mal auf und ab. Er hat eine Idee, irgendetwas Gutes – das kann ich daran erkennen, dass er sich aufrichtet, ich sehe es an dem diabolischen Schwung beim Gehen. Ich warte, bis er es mir erzählt.
«Na schön», sagt er endlich. «Wenn du es dir partout nicht ausreden lassen willst, bringe ich dich hin.»
«Wann können wir gehen?», frage ich.
«Heute Abend. Dann hast du noch genug Zeit, es dir anders zu überlegen.» Er beugt sich vor. «Das ist ein sinnloses Unterfangen, mein kleines Vögelchen, ganz gleich, für wie stark du dich hältst.»
«Wann treffen wir uns? Und wo?», frage ich.
«Wo ist der nächste Bahnhof?»
«Ein paar Blocks von hier. Palo Alto.»
«Dann treffen wir uns am Bahnhof von Palo Alto», sagt er. «Um Mitternacht.»
Ich bin wie benommen. Zeit und Ort wusste ich bereits aus der Vision, aber es ihn sagen zu hören, mit Sicherheit zu wissen, dass es in der Vision genau darum ging, erschüttert mich. Das und die Tatsache, dass er bereit ist, mich so bald schon hinzubringen. Heute Abend. Heute Abend komme ich in die Hölle.
«Beginnst du schon zu zweifeln?», fragt er mit der Andeutung eines Lächelns.
«Nein. Ich werde da sein.»
«Zieh dir etwas Schwarzes oder Graues an, nichts Auffallendes, und bedeck dein Haar», sagt er. «Außerdem musst du einen Freund mitbringen, einen aus der Reihe der Nephilim, sonst kann ich dich nicht hinbringen.»
Er dreht sich um, als wolle er schon gehen.
«Einen Freund? Das kann doch nicht dein Ernst sein», sage ich atemlos.
«Wenn du bei dieser kleinen Exkursion Erfolg haben willst, brauchst du jemanden, auf den du dich stützen kannst. Jemanden, der dir hilft, den Kummer der Verdammten von dir fernzuhalten. Sonst wird deine Gabe, die Gefühle anderer nachzuempfinden, dich erdrücken. Du hältst dann keine zwei Minuten durch.»
«Na gut», erwidere ich mit heiserer Stimme.
Er verwandelt sich in einen Vogel. Meine Augen sind nicht schnell genug, um den Übergang zu sehen, aber in der einen Sekunde war er noch Mensch, in der nächsten ist er eine Krähe. Er kreischt in meine Richtung.
Mitternacht , sagt er in meinem Kopf, und seine Stimme ist wie eine Dusche mit kaltem Wasser. Und vergiss nicht, du schuldest mir eine Geschichte.
Das vergesse ich schon nicht.
Christian ist mehr als nur ein bisschen überrascht, als ich in unser Hotelzimmer zurückkomme und ihm sage, dass wir Web nun doch zu Billy bringen müssen. Ich werde ihm später alles erzählen. «Vertrau mir», sage ich, und sein Kiefer spannt sich an, aber er sagt nichts dagegen, als ich Webs Sachen zusammenpacke und uns zu Billys Haus in den Bergen bringe, wo sie uns offensichtlich erwartet.
Er glaubt, dass ich mich damit überfordert fühle, Webs Ersatzmutter zu sein, dass ich nicht länger die Verantwortung für ihn tragen will. Christian ist enttäuscht, weil er dachte, wir könnten es schaffen, aber er hat Verständnis.
Oder wenigstens redet er sich das ein.
Es macht mich ganz krank, Web an Billy übergeben zu müssen, aber ich versuche, dabei zu lächeln. Bei Billy ist er sicherer, sage ich mir. Aber er fühlt sich bei ihr im Arm nicht ganz wohl, jammert, und bei dem Blick, mit dem er mich anschaut, zieht sich mir schmerzhaft das Herz zusammen.
«Ist schon gut, kleiner Mann. Tante Billy wird gut auf dich aufpassen», sage ich und gehe noch ein letztes Mal alles mit Billy durch – welche Säuglingsnahrung er mag und bei welcher er kotzt wie Linda Blair in Der Exorzist , in welche Decke er nachts gewickelt werden möchte, welche Schnuller er am liebsten mag und wie lebenswichtig
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