Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
allgemeinen Vorsicht weicht. Sie mag Leute nicht, die zu viele Fragen stellen, die aus heiterem Himmel an unerwarteten Orten auftauchen, die zu freundlich sind. Damit hat sie bereits ihre Erfahrungen gemacht, und keine davon war positiv.
«Ich beende gerade mein erstes Jahr in Stanford», plappere ich weiter. «Ich bin noch ziemlich neu in der Gegend, deshalb nerve ich die Ortsansässigen auch immer mit Fragen über die besten Restaurants und Ausgehmöglichkeiten und so weiter.»
Ihr Gesichtsausdruck entspannt sich. «Ich habe meinen Abschluss in Stanford gemacht», erwidert sie. «Was ist Ihr Hauptfach?»
«Biologie», antworte ich und bin etwas ängstlich, weil ich nicht weiß, was sie davon hält. «Vorbereitungskurs aufs Medizinstudium.»
«Ich bin diplomierte Krankenschwester», sagt sie. «Es ist manchmal hart, dafür zu sorgen, dass es den Leuten besser geht, sie zu pflegen, aber natürlich auch eine dankbare Aufgabe.»
Dieses Detail aus ihrer Lebensgeschichte hatte ich beinahe vergessen. Krankenschwester.
Wir reden eine Weile über die Rivalität der Unis Stanford und Berkeley, über Kalifornien und darüber, an welchen Stränden man am besten surfen kann, über den Medizinvorbereitungskurs an der Uni. Kaum sind fünf Minuten um, da verhält sie sich schon viel freundlicher. Irgendwie will sie immer noch, dass ich gehe, damit sie die Entscheidung treffen kann, deretwegen sie heraufgekommen ist, aber sie lacht auch über meine Witze, interessiert sich für mich, ist von mir eingenommen. Sie mag mich, das merke ich. Meine Mom mag mich, auch wenn sie keine Ahnung hat, dass sie mich eigentlich lieben sollte. Ich bin erleichtert.
«Waren Sie je in der Memorial Church?», frage ich sie nach einer Gesprächspause.
Sie schüttelt den Kopf. «Ich gehe nicht in Kirchen, grundsätzlich nicht.»
Interessant. Ich hatte als Kind immer den Eindruck, dass sie die Kirche mochte. Erst als ich ins Teenageralter kam, sind wir nicht mehr hingegangen, denn sie dachte, ich würde in der Kirche irgendetwas tun, was uns verraten und anderen Leuten gezeigt hätte, dass wir irgendwie besonders sind. «Wieso nicht?», erkundige ich mich. «Was stimmt denn nicht mit der Kirche?»
«Die wollen einem immer vorschreiben, was man tun soll», antwortet sie. «Und ich nehme nicht gern Befehle entgegen.»
«Nicht mal von Gott?»
Sie mustert mich, einer ihrer Mundwinkel hebt sich zu einem stillen Lächeln. «Vor allem nicht von Gott.»
Sehr interessant. Vielleicht macht mir diese Unterhaltung ein bisschen zu viel Spaß. Vielleicht sollte ich ihr sagen, wer ich bin, geradeheraus, sollte sie vielleicht nicht länger an der Nase herumführen, aber wie bringt man jemandem schonend bei, dass man sein bisher noch nicht einmal gezeugtes Kind ist, das aus der Zukunft zu Besuch gekommen ist? Ich will ja nicht, dass sie total ausflippt.
«Und?», meint sie nach einer Weile. «Worüber wollen Sie hier oben nachdenken?»
Wie sage ich das am besten? «Ich soll auf eine … Reise gehen, um einer Freundin zu helfen, die sich in einer Notlage befindet.»
Sie nickt. «Und Sie wollen nicht gehen.»
«Doch. Sie braucht mich. Aber ich habe so ein Gefühl, dass sich, wenn ich auf diese Reise gehe, etwas Entscheidendes verändern wird. Ich nicht mehr so sein werde wie zuvor. Verstehen Sie?»
«Aha.» Intensiv mustert sie mein Gesicht, sieht dort offenbar etwas. «Und da gibt es einen Mann, den Sie zurücklassen.»
Typisch Mutter, dass ihr nie etwas entgeht, nicht einmal jetzt. «Ja, so ungefähr.»
«Ach ja, all die Herrlichkeit der Liebe», sagt sie. «Die kann aber manchmal auch verdammt nervtötend sein.»
Ich lache verblüfft. Sie hat geflucht. Noch nie habe ich sie so richtig fluchen hören. Junge Damen fluchen nicht, hat sie mich immer ermahnt. Das sei stillos.
«Klingt wie die Stimme der Erfahrung», sage ich leicht spöttisch. «Wollen Sie hier oben darüber nachdenken? Über einen Mann?»
Ich beobachte sie, wie sie sorgfältig die Worte wählt, ehe sie sie ausspricht. «Über einen Heiratsantrag.»
«Wow!», rufe ich, und sie kichert. «Was richtig Ernstes.»
«Ja», sagt sie leise. «Das stimmt.»
«Er hat also um Ihre Hand angehalten?» Heilige Scheiße. Damit musste Dad gemeint sein. Sie ist hier, weil sie entscheiden muss, ob sie Dad heiraten soll oder nicht.
Sie nickt, ihr Blick geht in die Ferne, als ob sie sich an etwas Bittersüßes erinnert. «Gestern Abend.»
«Und Sie haben gesagt …»
«Ich habe gesagt, ich müsse
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