Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
Herrn und so weiter – will dich in eine Ehe locken, in der du nicht sein willst?» Ich seufze. «Hör zu, ich weiß, das ist irgendwie unwirklich. Auch für mich fühlt es sich seltsam an, als könnte ich plötzlich verschwinden, so als wäre ich nie geboren, was ein ziemlicher Mist wäre, wenn du verstehst, was ich meine. Aber das ist mir egal, ehrlich. Ich freue mich so, dich zu sehen. Ich habe dich vermisst. So sehr. Können wir nicht einfach … darüber reden? Ich werde am 20. Juni 1994 zur Welt kommen.» Langsam mache ich einen Schritt auf sie zu.
«Nicht», sagt sie heftig.
«Ich weiß nicht, wie ich dich überzeugen soll.» Ich bleibe stehen und denke darüber nach. Dann halte ich meine Hände hoch. «Wir haben die gleichen Hände», sage ich. «Guck mal. Genau die gleichen. Siehst du, dein Ringfinger ist ein bisschen länger als dein Zeigefinger. Das ist bei mir genauso. Du hast zum Spaß immer gesagt, das sei ein Zeichen großer Intelligenz. Und ich habe da diese große Ader, die quer über den rechten Zeigefinger geht. Ich war immer der Meinung, dass das ziemlich seltsam aussieht, aber du hast das auch. Also sehen wir wohl gemeinsam ziemlich seltsam aus.»
Sie starrt auf ihre Hände.
«Ich glaube, ich sollte mich setzen», sagt sie und lässt sich schwer auf den Felsbrocken sinken.
Ich hocke mich neben sie.
«Clara», flüstert sie. «Wie heißt du mit Nachnamen?»
«Gardner. Ich glaube, das hat sich Dad als seinen sterblichen Beinamen ausgesucht, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Clara war übrigens so um 1910 herum der beliebteste Mädchenname, aber seitdem nicht mehr so richtig. Also danke dafür.»
Sie unterdrückt ein Lächeln. «Clara – der Name gefällt mir.»
«Soll ich dir noch meinen zweiten Vornamen sagen, oder kannst du dir den inzwischen denken?»
Sie hält sich die Hand vor den Mund und schüttelt ungläubig den Kopf.
«Also», sage ich, denn die Sonne senkt sich jetzt unwiderruflich dem Horizont entgegen, und sie wird bald gehen müssen, «ich will dich ja nicht bedrängen oder so, aber ich finde, du solltest ihn heiraten.»
Sie lacht kurz auf.
«Er liebt dich. Nicht meinetwegen. Oder weil Gott es ihm befohlen hat. Sondern deinetwegen.»
«Aber ich habe keine Ahnung, wie man eine gute Mutter ist», flüstert sie. «Ich bin in einem Waisenhaus groß geworden, weißt du. Ich hatte nie eine Mutter. Werde ich gut sein als Mutter?»
«Du wirst die Beste sein. Ernsthaft, ich sage das nicht nur, um dich zu überzeugen, aber du bist wirklich die beste Mutter, die man sich wünschen kann. Alle meine Freunde sind superneidisch auf mich, weil du so toll bist. Du stellst sämtliche anderen Moms in den Schatten.»
Ihr Gesichtsausdruck ist immer noch umwölkt. «Aber ich sterbe, ehe du erwachsen bist.»
«Ja. Und das ist großer Mist. Aber ich würde dich gegen keine andere eintauschen, auch wenn die andere tausend Jahre alt würde.»
«Ich werde nicht für dich da sein.»
Ich lege meine Hand auf ihre. «Du bist jetzt da.»
Sie nickt leicht, schluckt. Sie dreht meine Hand in ihrer um und betrachtet sie eingehend.
«Faszinierend», staunt sie.
«Ja, nicht wahr?»
Einen Moment lang sitzen wir schweigend da. Dann sagt sie: «Und jetzt erzähl mir alles über dein Leben. Erzähl mir von dieser Reise, die du machen willst.»
Ich beiße mir auf die Lippen. Wenn ich ihr zu viel über die Zukunft erzähle, wird womöglich das Raum-Zeit-Kontinuum gestört oder so etwas und das Universum vernichtet. Als ich ihr das sage, lacht sie.
«Ich sehe die Zukunft schon mein ganzes Leben lang», erwidert sie. «Nach meiner Erfahrung funktioniert das als Paradoxon. Man findet heraus, dass etwas passieren wird, und dann macht man genau das, weil man ja weiß, dass es passieren wird. Wie bei der Frage, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei.»
Mehr brauche ich nicht zu wissen. Ich erzähle ihr alles, soweit es in der kurzen Zeit möglich ist. Ich erzähle ihr von meinen Visionen, von Christian und dem Waldbrand, dem Friedhof und dem Kuss. Ich erzähle ihr von Jeffrey, was sie schockiert, denn sie hat niemals in Erwägung gezogen, dass sie mehr als nur ein Kind haben könnte.
«Ein Sohn», meint sie atemlos. «Wie ist er so?»
«So wie Dad. Hochgewachsen und stark und sportbesessen. Und auch so wie du. Dickköpfig. Besonders dickköpfig.»
Sie lächelt, und ich spüre ein Aufflackern von Glück in ihr bei dem Gedanken an Jeffrey, einen Sohn, der aussieht wie Dad. Ich erzähle weiter –
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