Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
sanft, als er ihr sagt: Ich weiß, dass ich ein elender Teufel bin. Aber ist es möglich, dass du mich je lieben wirst? »
Ich halte die Luft an. «Du hast gelogen.»
«Ich habe gelogen. Ich habe gesagt, ich werde mir nie etwas aus ihm machen. Ich habe ihm gesagt, ich will ihn nie wiedersehen. Darauf hat er mich lange angeschaut, und dann war er verschwunden. Einfach so. Von der Nacht habe ich nie jemandem erzählt. Michael weiß es, glaube ich, so wie er alles weiß. Aber bis jetzt habe ich nie darüber geredet.» Sie atmet tief ein und wieder aus, als habe sie gerade eine große Last von ihren Schultern genommen. «Da hast du also deine Geschichte. Ich habe gelogen.»
«Du hast dir doch etwas aus ihm gemacht?», formuliere ich vorsichtig.
«Ich habe ihn geliebt», flüstert sie. «Eine Zeitlang war er für mich die Sonne und der Mond. Ich war verrückt nach ihm.»
Und jetzt ist er verrückt nach dir, denke ich. Betonung auf verrückt .
Sie räuspert sich. «Das ist sehr lange her.»
Und doch wissen wir beide, wie tückisch die Zeit ist.
«Das zu hören ist bestimmt nicht angenehm für dich», sagt sie, als sie mein Stirnrunzeln sieht. «Dass ich sage, ich habe einen Mann geliebt, der nicht dein Vater ist.»
«Aber ich weiß doch, dass du Dad liebst.» Ich denke wieder an Mom und Dad an ihren letzten Tagen und daran, wie offensichtlich ihre Liebe war, wie rein. Ich lächle sie an, stupse sie mit der Schulter an. «Du liebst ihn. Ganz sicher.»
Sie lacht, stupst nun mich an. «Na gut, na gut. Ich werde ihn heiraten. Jetzt kann ich ihn ja wohl kaum noch abweisen, oder?» Auf einmal stöhnt sie auf. «Ich muss gehen», sagt sie und springt auf wie Aschenputtel, das Angst hat, zu spät zum Ball zu kommen. «Ich soll mich doch jetzt mit ihm treffen.»
«Am Strand von Santa Cruz», sage ich.
«Davon habe ich dir erzählt?», fragt sie. «Was werde ich zu ihm sagen?»
«Du küsst ihn einfach nur», berichte ich ihr. «Und jetzt geh, ehe du noch zu spät kommst und ich aufhöre zu existieren.»
Sie geht zum Rand des Felsvorsprungs und befiehlt ihren Flügeln zu erscheinen. Ich staune darüber, wie grau sie sind, da ich sie als durchdringend weiß in Erinnerung habe. Schön sind sie auch jetzt, aber grau. Unentschlossen. Unsicher.
Sie zögert.
«Geh», sage ich.
Sie hat Tränen in den Augen. Ich will dich nicht verlassen , sagt sie in meinem Kopf.
Mach dir keine Sorgen, Mom , antworte ich auf die gleiche Weise, und zum ersten Mal an diesem Tag nenne ich sie Mom. Du wirst mich wiedersehen.
Sie lächelt und streichelt meine Wange, dann dreht sie sich um und hebt ab, der Windstoß von ihren Flügeln weht mir das Haar aus dem Gesicht, und sie gleitet aufs Meer zu. Zum Strand, wo mein Vater wartet.
Ich wische mir über die Augen. Und als ich danach aufschaue, bin ich wieder in der Gegenwart, als wäre dieser ganze Nachmittag eine Art wunderschöner Traum gewesen.
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Der Zug Richtung Süden
Zwei Minuten vor Mitternacht.
In Wirklichkeit, diesmal.
Die Vision hat mich nicht auf das ungeheure Ausmaß dieses Augenblicks vorbereitet. Ich fühle mich, als würde ich jeden Moment aus meiner Haut schlüpfen. Ich spüre jedes Ticken des Sekundenzeigers meiner Uhr wie einen elektrischen Schlag, der mich wieder und wieder durchfährt.
Ich schaffe das, sage ich mir, und fummele am Reißverschluss meiner schwarzen Kapuze herum.
Tick, tick.
Tick, tick.
Der Zug Richtung Norden kommt und fährt wieder. Samjeeza erscheint, nimmt seinen Platz auf dem Laternenpfahl ein, krächzt zu mir herüber.
Aber Christian ist nicht da.
Ich drehe mich langsam im Kreis, halte Ausschau nach ihm, meine Blicke verweilen auf jedem leeren Fleck, auf jedem Schatten, ich hoffe, ich entdecke ihn, aber er ist nicht da.
Er kommt nicht.
Einen Moment lang glaube ich, dass meine Angst mich auffressen wird.
«Krächz», macht die Krähe ungeduldig.
Es ist Mitternacht.
Ich muss gehen. Mit ihm oder ohne ihn.
Ich drehe mich zu dem Überweg auf die andere Seite der Gleise um. Einen Schritt nach dem anderen – mein Herz schlägt rasend wie das eines Kaninchens, mein Atem kommt in flachem Keuchen – überquere ich die Gleise.
Auf der anderen Seite verwandelt sich Samjeeza in einen Mann. Er wirkt selbstzufrieden, freudig erregt, es ist die Art freudige Erregung, die ein Fuchs im Hühnerstall empfinden muss, in seinen Augen ein boshaftes Glitzern. Bei seinem Anblick bekomme ich eine Gänsehaut.
«Eine herrliche Nacht für
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