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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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unterdrücke meine Schluchzer, damit ich ihm Luft in den Mund blasen kann. Ich drücke auf seinen Brustkorb und höre einen Knochen knacken, was mich nur umso heftiger schluchzen lässt, aber ich mache weiter, befehle seinem Herzen zu schlagen. Bei der Berührung spüre ich, dass er sehr schwer verletzt ist, so viele Knochen sind gebrochen, Organe sind verletzt, vielleicht unheilbar. Er hat innere Blutungen.
    «Hilfe!», schreie ich wieder, und dann erst erinnere ich mich daran, dass ich doch in einer Situation wie dieser mehr als ein menschliches Mädchen bin, dass ich die Kraft zu heilen habe, aber ich bin so erschüttert, dass ich ein paar Versuche brauche, ehe ich es schaffe, den himmlischen Glanz hervorzurufen. Ich beuge mich über ihn, und der Glanz leuchtet aus mir wie ein Leuchtfeuer am Ufer des Jackson Lake. Ich lege ihm meine leuchtenden Hände auf den Körper und befehle Organen und Knochen zu heilen. Der Länge nach lege ich mich auf ihn, Wange an Wange, meine Arme umschließen ihn, ich hülle ihn in meiner Wärme, meiner Energie, meinem Licht ein.
    Aber er atmet nicht. Mein Glanz verblasst zusammen mit meiner Hoffnung.
    Ich höre Flügelschlagen hinter mir. Eine Stimme.
    «Jetzt weißt du, wie sich das anfühlt», sagt sie, und ich hebe den Arm, um ihren Dolch abzuwehren, aber ich bin nicht schnell genug. Sie wird auch mich töten, denke ich benommen.
    Doch sie tut es nicht. Da ist ein seltsames Geräusch, etwas pfeift in meinem Kopf.
    Und dann steckt ein Pfeil aus himmlischem Glanz in Lucys Brust.
    Jeffrey steht hinter ihr, sein Gesichtsausdruck entschlossen, aber auch entsetzt, als habe er bis zu diesem Moment nicht gewusst, was er tut. Er lässt die Arme sinken.
    Lucys Dolch ist verschwunden. Sie sackt zu Boden, japst wie ein gestrandeter Fisch.
    «Jeffrey», sagt sie und streckt die Hand nach ihm aus. «Baby.»
    Er schüttelt den Kopf.
    Sie dreht sich auf den Bauch und lässt sich in den See rollen. Dann ist sie verschwunden.
    Ich wende mich wieder zu Tucker um und rufe noch einmal den Glanz herbei.
    Christian landet neben Jeffrey am Ufer.
    «Was ist passiert?», fragt er.
    Ich schaue zu ihm auf.
    «Kannst du mir helfen?», flüstere ich. «Bitte. Er atmet nicht, ich schaffe es nicht.»
    Jeffrey und Christian wechseln Blicke. Christian kniet sich neben uns und legt seine Hand auf Tuckers Stirn, als wollte er prüfen, ob er Fieber hat, denke ich benommen, obwohl es nicht das ist, was er prüfen will. Er seufzt. Legt sacht eine Hand auf meinen Arm.
    «Clara …»
    «Nein.» Ich reiße mich los, klammere mich noch fester an Tucker. «Er ist nicht tot.»
    Christians Augen sind dunkel vor Kummer.
    «Nein», sage ich und richte mich auf, knie jetzt. Ich zerre Tuckers T-Shirt hoch, lege meine Hände auf die kräftige gebräunte Fläche seines Brustkorbs, auf das Herz, das ich unter meinem Ohr so oft habe schlagen hören, und lasse meinen Glanz wie Wasser in ihn strömen, brauche alles auf, jedes bisschen Leben und Licht, das in mir ist, jeden Funken, jegliches Leuchten. «Ich lasse nicht zu, dass er stirbt.»
    «Clara, nicht», bittet Christian. «Du wirst dir weh tun. Du hast schon so viel gegeben.»
    «Das ist mir egal!», schluchze ich, wische mir die Augen und schiebe Christians Hände weg, als er mich fortziehen will.
    «Er ist schon nicht mehr unter uns», sagt Christian. «Du hast seinen Körper geheilt, aber seine Seele ist nicht mehr bei uns. Sie ist fort.»
    «Nein.» Ich beuge mich hinunter zu Tucker und lege ihm meine Hand auf die bleiche Wange. Ich beiße mir auf die Lippen, um die Schreie zu unterdrücken, die in meiner Kehle stecken, und ich schmecke Blut. Der Boden unter mir schwankt. Mir ist schwindlig, ich fühle mich schwach. Ich presse Tucker eng an mich, halte ihn. So verbleibe ich eine sehr lange Zeit und lasse meine Tränen auf seine Schulter tropfen. Die Sonne wird wärmer und immer wärmer, sie trocknet mein Haar, meine Kleidung, sie trocknet sein Haar und seine Kleidung.
    Schließlich hebe ich den Kopf.
    Christian und Jeffrey sind verschwunden. Der See ist so klar, dass er auf seiner Oberfläche ein perfektes Spiegelbild der Tetons präsentiert, dazu den Himmel mit dem rosafarbenen Rand hinter den Bergen, die Drehkiefern am gegenüberliegenden Ufer. Es ist so unsagbar still hier. Kein Geräusch, mit Ausnahme meines Atems. Keine Tiere. Keine Menschen. Nur ich.
    Es ist, als hätte ich die Zeit angehalten.
    Und Tucker steht hinter mir, die Hände hat er in den Taschen seiner Jeans

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