Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
Er schnappt sich eine Schaufel und hält sie mir hin. «Es sei denn, dein armes kleines Herzchen verkraftet es nicht, auf einer richtigen, echten Ranch zu arbeiten.»
«Nein danke», sage ich und bin gekränkt, weil er mich nach allem wie eine Großstadttussi behandelt. Verzweiflung kommt in mir auf. Dann Wut. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, das Wiedersehen mit ihm. Er macht es mir mit Absicht schwer.
Na bitte, denke ich. Wenn er es denn so will.
«Ich bin sofort wieder weg», sage ich, «aber dazu muss ich den Glanz herbeirufen, du möchtest dann sicher lieber für einen Moment nach draußen gehen. Ich möchte auf keinen Fall, dass du dir deine schönen Stiefel vollkotzt.»
«Okay», sagt er. «Fall nicht auf dem Weg nach draußen.»
«Nein, werde ich schon nicht», antworte ich, weil mir keine schlagfertige Erwiderung einfällt, und so warte ich, bis er die Scheune verlassen hat, ehe ich den Glanz herbeirufe und mich irgendwohin wünsche, nur weg von hier.
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Rummachen
Eines ist sicher: Mein Bruder ist ein guter Esser. Es ist, als hätte er ein hohles Bein und würde alle Lebensmittel darin verstauen: bis jetzt vier Pfannkuchen, drei Rühreier, jede Menge Rösti-Ecken, dazu Toast, drei Scheiben Bacon, drei Würstchen und ein Riesenglas Orangensaft. Mir wird schon schlecht, wenn ich ihm nur zusehe.
«Was denn?», fragt er, als er merkt, dass ich ihn anstarre. «Ich hab Hunger.»
«Offensichtlich.»
«Das schmeckt gut. Ich bekomme in letzter Zeit sonst nur Pizza zu essen.»
Aha, ein Jeffrey-Infostückchen. Darum geht es bei diesem Frühstück. Um die Krümel, die er mir gelegentlich zuwirft. Hinweise. Aus denen ich mir ein Bild seines Lebens zusammensetze.
«Pizza?», erkundige ich mich ganz lässig. «Wieso denn Pizza?»
«Ich arbeite in einem Pizzaladen.» Er kippt sich noch mehr Sirup auf seinen letzten Pfannkuchen. «Den Geruch kriege ich wahrscheinlich mein ganzes Leben nicht mehr weg.» Er beugt sich vor, als wenn ich an ihm riechen soll. Also mache ich das, und tatsächlich steigt mir ein unverkennbarer Hauch von Mozzarella und Tomatensoße in die Nase.
«Und was machst du da?»
Er zuckt mit den Schultern. «Ich stehe an der Kasse. Bediene mit an den Tischen. Nehme Telefonbestellungen an. Manchmal mache ich auch Pizza, wenn gerade ein Koch fehlt. Was eben so anfällt. Das ist nur ein vorübergehender Job. Bis ich rausgefunden habe, was ich wirklich machen will.»
«Aha. Ist dieser Pizzaladen hier in der Nähe?», frage ich gewitzt. «Vielleicht komme ich ja mal vorbei und bestelle was. Und gebe dir dann ein dickes Trinkgeld.»
«Nee, nee», sagt er. «Das vergiss mal schnell. Also. Was liegt denn so an bei dir?»
Ich stütze das Kinn in die Hand und seufze. Ziemlich viel liegt an bei mir. Ich stecke immer noch in so was wie ungläubigem Schock über das Wiedersehen mit Tucker. Und ich laboriere nach wie vor an der Vorstellung herum, dass ich irgendwann in näherer Zukunft ein Schwert benutzen muss – ausgerechnet ich, die ich noch nie den Drang verspürt habe, mich mit der Vampirjägerin Buffy aus der Fernsehserie zu identifizieren. Ich und kämpfen. Wahrscheinlich um mein Leben, wenn meine Vision mich nicht trügt.
«Muss ja richtig toll sein», sagt Jeffrey ironisch und mustert mein Gesicht.
«Es ist kompliziert.» Ich überlege, ob ich ihm von meinem Training gestern erzählen soll, aber ich entscheide mich dagegen. Unser Vater ist Jeffreys wunder Punkt. Stattdessen frage ich: «Hast du noch Visionen?»
Sein Lächeln verblasst. «Darüber will ich nicht reden.»
Eine Weile starren wir uns stur an, denn ich will das Thema nicht so ohne weiteres fallenlassen, und er will nichts dazu sagen, weil er beschlossen hat, seine Visionen zu ignorieren. Er ist nicht mehr auf Gottes Gehaltsliste, so sieht er das. Scheiß auf die Visionen. Er fühlt sich immer noch schuldig bis auf die Knochen, wenn er an seine letzte Vision denkt, die gar nicht gut ausgegangen ist.
Aber tief in seinem Inneren verspürt er trotzdem den Drang, darüber zu reden.
Endlich schaut er auf. «Manchmal», gibt er zu. «Aber sie sind nutzlos. Sie sind ohne jeden Sinn. Ich sehe nur Dinge, die ich nicht verstehe.»
«Zum Beispiel?», frage ich. «Was siehst du?»
Er rückt sich die Baseballkappe zurecht. Sein Blick geht in die Ferne, als ob er gerade jetzt seine Vision vor sich ablaufen sähe. «Ich sehe Wasser, richtig viel Wasser, einen See oder so was. Ich sehe, dass jemand fällt, vom
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