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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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also, denke ich. Er will mir von meiner Mutter erzählen. Ich sollte ihn unterbrechen, sollte ihm sagen, dass ich nicht interessiert bin, aber das tue ich nicht. Ich bin neugierig, ich will wissen, was passiert ist.
    Er tritt näher an den Zaun heran, und ich höre das schwache Knistern seiner grauen Elektrizität durch das Metall laufen. «Eines Tages ging sie mit anderen Krankenschwestern zu einem Teich am Stadtrand, um dort in ihrer Unterwäsche zu schwimmen. Sie lachte über etwas, das eines der Mädchen gesagt hatte, und dann spürte sie meine Blicke auf sich und schaute hoch. Die anderen Mädchen sahen mich auch und machten schleunigst, dass sie zu ihrer Kleidung ans Ufer kamen, aber sie blieb, wo sie war. Ihr Haar war braun damals, weil sie es färbte, und für eine Frau trug sie es kurz, gerade mal bis zum Kinn, aber mir gefiel, wie es sich bei ihr im Nacken kräuselte. Sie kam auf mich zu. Sie roch wie Wolken und Rosen, das weiß ich noch. Ich stand wie angewurzelt da, starrte sie an, fühlte mich so seltsam, und sie lächelte und griff in meine vordere Hosentasche, wo ich immer ein Päckchen Zigaretten hatte, mehr zum Schein als zu sonst irgendwas; sie nahm sich eine, steckte die Packung zurück und sagte: ‹Möchten Sie sich nicht nützlich machen und mir Feuer geben?› Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass ich ihre Zigarette anzünden sollte, aber natürlich hatte ich kein Feuerzeug, und das sagte ich ihr; daraufhin meinte sie: ‹Tja, da sind Sie ja wirklich von großem Nutzen für die Menschheit, was?› Dann drehte sie sich um und ließ mich stehen.»
    Die Erinnerung schien ihn zu entzücken, aber mir gefiel das nicht. Das war nicht die Mutter, die ich kannte, diese kecke, Zigaretten rauchende Brünette, die ihn so zu fesseln schien.
    «Es dauerte eine Weile, bis ich sie dazu brachte, wieder mit mir zu reden. Und noch länger, bis sie mir erlaubte, sie zu küssen …»
    «Wieso meinst du, dass ich das hören will?», unterbreche ich ihn.
    Er verzieht einen Mundwinkel zu einem verschlagenen Lächeln. «Du bist ganz genau wie sie, finde ich.»
    Ein kalter Luftzug schiebt sich unter meine Ärmel und gleitet meine Arme hinauf, und ich ziehe meinen Mantel enger um mich. Für den Moment bin ich in Sicherheit, auf dieser Seite des Zauns. Geheiligter Boden. Aber bald werde ich von hier wegmüssen.
    «Erzähl mir eine Geschichte über sie», verlangt er. «Irgendeine Kleinigkeit.» Mit seinen goldenen Augen sieht er mich ruhig an. «Irgendetwas Neues.»
    Nervös hole ich Luft. «Deshalb verfolgst du mich? Weil du Geschichten willst?»
    «Erzähl mir eine», verlangt er erneut.
    Meine Gedanken graben nach etwas, das ich ihm anbieten kann. Natürlich habe ich unendlich viele Erinnerungen an meine Mutter, beliebige und alberne, Erinnerungen an Momente, in denen ich wütend auf sie war, weil sie plötzlich aufhörte, meine beste Freundin zu sein, und sich in meine Mutter verwandelte, mir Grenzen setzte, mich bestrafte, wenn ich diese Grenzen überschritt, Erinnerungen an zärtliche Momente, wenn ich spürte, dass sie mich mehr liebte als alles andere auf der Welt. Aber keine dieser Geschichten will ich mit ihm teilen. Unsere Geschichten gehören nicht ihm.
    Ich schüttele den Kopf. «Mir fällt nichts ein.»
    Sein Blick verdüstert sich.
    Hier kann er mir nicht weh tun, sage ich mir. Er kommt nicht an mich heran. Trotzdem zittere ich.
    «Na schön», sagt er, als wäre ich einfach nur egoistisch, wogegen man aber, wie er gerade denkt, nichts machen kann; schließlich bin ich zum Teil menschlich. Sein Tonfall verändert sich, wird lässig. «Vielleicht ist dir ja ein andermal danach.»
    Das bezweifle ich stark.
    «Hast du je das Geheimnis gelöst? Was es war, das deine Mutter vor dir geheim gehalten hat?», fragt er, als redeten wir übers Wetter.
    Mit Mühe wahre ich einen neutralen Gesichtsausdruck, halte meinen Geist sorgfältig unter Verschluss, meinen Tonfall so beiläufig wie seinen, als ich sage: «Ich weiß nicht, was du meinst.»
    Er lächelt. «Dann hast du es also tatsächlich herausbekommen», sagt er. «Sonst würdest du dir nicht so große Mühe geben, mich in Schach zu halten.»
    Er weiß also, dass ich ihn aussperre. Ich frage mich, ob er meine Gedanken trotzdem lesen kann, ob er den irren Rhythmus meines Herzens hört, meinen schnellen Atem, meine Angst, die wie ein saurer Geruch aus meinen Poren sickert.
    Hilflos schüttele ich den Kopf. Mit ihm zu reden war keine gute Idee. Wie konnte

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