Unendlichkeit in ihrer Hand
verkürzend, das wie eine Peitsche vor ihren Füßen knallte, heißer und schrecklicher noch als die zuvor erlittene Hitze. Die Feuerzunge stürzte sich gnadenlos auf sie, leckte ihre Fußsohlen und Handflächen, beschnüffelte ihr Haar, traktierte sie mit Hieben. So gut es eben ging, richteten sie sich auf und begannen zu laufen, fort, nur fort von hier. Ohne einen Augenblick von ihnen abzulassen, nahm das Feuer die Verfolgung auf, trieb sie erbarmungslos quer über die Steppe und bis zu dem Berg, der aus der Felsformation aufragte. Die Arme schützend über die Köpfe hebend, erreichten Adam und Eva mit wunden, wehen Füßen die Bergflanke und machten sich, die Feuersäule hart auf den Fersen, an den mühevollen Aufstieg. Im dichten Dornengestrüpp entdeckten sie plötzlich den Eingang einer Höhle. Ebenso wie es aufgetaucht war, erlosch das Feuer unversehens wieder mit einem dumpfen Knall. Sie begriffen, dass dies ihre Wohnstatt sein sollte, in dem unwirtlichen Landstrich, in den sie verstoßen worden waren. Wie betäubt vom Schreck, flüchteten sie einer in die Arme des anderen, geschüttelt von einem haltlosen Schluchzen.
»Diese Machtdemonstration ist beinah so beeindruckend wie die Schöpfung selbst«, bemerkte die Schlange, die neben ihnen auf einem Felsen erschien. »Wenn man bedenkt, dass ihr nur ein paar Früchte gegessen habt.«
»Warum bloß bin ich nicht auf die Idee gekommen, auch vom Lebensbaum zu essen? Warum hast du mich nicht darauf aufmerksam gemacht? Warum? Warum bloß?«, stieß Eva unter Schluchzern hervor.
»Wenn du glaubst, Elohim hätte das zugelassen, bist du aber ziemlich naiv! Sogar die Freiheit, die er euch schenkt, hat Grenzen.«
»Heute haben uns die Hyänen angegriffen«, erzählte Adam. »Was soll aus uns werden, wenn auch andere Tiere das tun?«
»Ihr werdet nicht umhinkommen, unterscheiden zu lernen, welchen ihr vertrauen könnt und welchen nicht. Die Tiere bekommen allmählich Hunger.«
»Was ist das?«, fragte Eva.
»Hunger und Durst. Das werdet ihr schon noch merken. Und ihr werdet auch sehen, was man dagegen unternimmt. Ihr werdet Schritt für Schritt entdecken, was ihr alles wisst. Ihr tragt das Wissen in euch. Bloß finden müsst ihr es selber. Geht in eure Höhle. Ruht euch aus. Ihr habt einen harten Tag hinter euch.«
»Tag?«
»Tag und Nacht. Willkürliche Maßeinheiten, die sich aus der Rotation der Gestirne ergeben. Ruh dich jetzt aus, Eva. Und frag nicht so viel.«
Kapitel 8
D ie Höhle war geräumig, ihre Wände wurden aus teils vorspringenden flachen Felsen gebildet, die in der Mitte einen offenen, von feinem dunklen Sand bedeckten Platz freiließen. Die Seiten wölbten sich und umschlossen den Raum wie eine Kuppel mit einer Öffnung oben, wo Licht einfiel. Nach der Hitze des Feuers und dem blendenden Tag empfanden sie das kühle Dämmerlicht im Inneren als Wohltat.
Eva sank auf einen flachen Stein nieder. Adam betrachtete die Frau von hinten. Ihre langen Beine, die sie angewinkelt hatte und an die Brust zog. Sie sah aus wie ein Blütenblatt. Wider die Prophezeiung, dass sie sterben würden, wenn sie vom Baum aßen, spürte er seinen Körper und die Lebendigkeit darin noch immer genauso intensiv wie unmittelbar nach Verzehr der Frucht. Nur die Angst vor einer weiteren grausamen Strafe hinderte ihn daran, sich erneut mit der Frau zu vereinigen, um seinem Aufruhr und seinem Kummer in ihr Ruhe zu verschaffen. Eva begann, ihn nach Leben und Tod zu befragen und wie beide voneinander zu unterscheiden seien, und er konnte ihr nicht antworten, ohne sie zu berühren. Sie lagen so dicht beieinander, diese neuen und schmerzhaften Empfindungen, dass sie ihm kaum gestatteten, klar zu denken.
»Ich hatte noch nie solche Schmerzen in den Füßen und auf der Haut. Mein Mund ist voller Sand, mein Hals brennt. Glaubst du nicht, das könnte der Tod sein?«, jammerte Eva untröstlich.
»Der Tod ist das Gegenteil vom Leben«, erwiderte er. »Und du spürst all das, weil du am Leben bist. Das ist es doch, was du gewollt hast, Eva, nicht wahr?«, hörte er sich selbst sagen und bedauerte es noch im gleichen Moment. Er setzte sich zu ihr: »Du wolltest wissen. Also, das ist es, das Wissen von Gut und Böse, von Lust und Leid, von Elohim und der Schlange, alles spiegelt sich in seinem Gegenteil.«
Ihretwegen weiß ich, dass ich am Leben bin, dachte er. Obwohl ihre Körper nun kein Licht mehr verströmten, obwohl sie geschrumpft waren und der zarte Schweif, der früher ihre
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