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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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verborgenen Körperöffnungen geschützt hatte, jetzt fehlte, hinderte ihn sein Verlangen nach Berührung daran, die Verzweiflung über ihre Verlassenheit mit dem Tod zu verwechseln.
    Eva hörte zu. Sosehr sie sich auch die Augen wischte, immer wieder füllten sie sich mit Wasser. Sie konnte sich gar nicht beruhigen, Hände, Mund und Füße wollten nicht stillestehen. Ihre Worte bordeten über vor Schmerz. All die Schürfwunden, Schnitte, Verbrennungen. Vielleicht war Adams Körper ja widerstandsfähiger. Oder der Schmerz drang nicht so tief in ihn ein, um seine Gedanken zu verseuchen. Sie dagegen spürte die Wunden auf ihrer Haut brennen und bis in die tiefe Leere in ihrem Innern schmerzen, ein Abgrund gleich dem, der sie vom Garten trennte. Die Grausamkeit Elohims und all dessen, was ihnen widerfuhr, quälte sie unablässig und raubte ihr jeglichen Mut und alle Kraft. Und diese Kraft hätte sie gebraucht, um zu verstehen, warum ihre Tat diese peitschende Feuerzunge verdiente, die sie bis hierher getrieben hatte.
     
    »Ich habe Durst«, sagte sie. »Durst heißt das, was unseren Mund so ausdörrt. Hilf mir, Wasser zu suchen. Das Wasser löscht den Durst.«
    Sie vermochte kaum zu sprechen. Sie spürte ein unerträgliches Brennen im Hals und eine trockene Klebrigkeit im Mund.
     
    Adam ging tiefer in die Höhle hinein. Beim Eintreten hatte er ein fernes Plätschern vernommen. Ein Stück weiter hinten fand er eine Quelle, die über eine Wand rann und durch einen engen Kanal lief, um sich schließlich in einer tiefen Felsmulde zu sammeln. Abwechselnd tauchten sie die Köpfe hinein, die Gesichter, öffneten die Münder und spülten den Sand aus den Zähnen. Das Wasser linderte die Trockenheit ihrer Kehlen. Sie füllten die Backen damit, wagten aber nicht, es herunterzuschlucken. Es war kalt und das ganze Gegenteil des Feuers, aber brennen konnte es genauso. Sofort spien sie es wieder aus. Sie fürchteten, dass es ihnen die Brust sprengen könnte.
    Auf einem der Felsen entdeckten sie lange Stücke eines sonderbaren, mit Härchen bedeckten Stoffes, der sie an die Haut der Lämmer erinnerte. Damit hüllten sie sich ein, indem sie ihn um die Hüften banden. Die Härchen waren weich und glänzend. Allmählich wurde ihnen wärmer.
    Sie legten sich auf den steinigen Boden. Als Adam sah, dass Eva die Augen geschlossen hatte, streckte er sich neben ihr aus, schlang die Arme um sie und schloss die Augen ebenfalls.
     
    Eva erwachte. Sie sträubte sich gegen das Aufwachen, weil sie von der Rückkehr in den Garten geträumt hatte und ihr Bewusstsein noch nicht in der Lage war, die Wirklichkeit eindeutig von der Vorstellung zu unterscheiden. Doch aus lauter Neugier, zu erfahren, ob die schrecklichen Dinge, an die sie sich erinnerte, tatsächlich geschehen waren, ließ sie sich dazu hinreißen, die Augen einen Spalt weit zu öffnen. Sie sah nichts. Da sperrte sie die Augen so weit auf, wie sie nur konnte, aber sie sah immer noch nichts. Sie dachte an die Raben. Die Farbe ihrer Flügel hatte alles zugedeckt. Sie streckte die Arme aus und griff mit den Händen in die undurchdringliche Finsternis. Abrupt setzte sie sich auf. Dann tauchte sie die Finger in die blinde Schwärze. Ihre Augen versagten ihr den Dienst. Sie berührte das eigene Gesicht, um sich zu vergewissern, dass sie wach war. Von Panik gepackt, fuchtelte sie wild herum.
    »Adam! Adam! ADAM !!!«, schrie sie.
    Sie spürte, wie er sich regte, aufwachte, hörte ihn brummen. Dann Stille – und ein Schrei.
    »Wo bist du, Eva? Wo bist du?«
    »Siehst du mich nicht?«
    »Nein. Ich kann nichts sehen. Nur Schwärze.«
    »Ich glaube, wir sind tot«, wimmerte sie. »Was soll das sonst sein?«
    Er tastete sich vorwärts, bis er sie spürte. Als Erstes gewahrte er ihre kalten Finger. Er verstand nicht, wie sie einfach hatte verschwinden können. Es war nichts mehr von ihr zu sehen. Ein Wehklagen entrang sich seiner Brust.
    »Ich mag den Tod nicht, Eva. Hol mich hier heraus.«
     
    Dann vernahmen sie in ihrem Innern, wie in den ersten Zeiten des Paradieses, die Stimme. Ihr Ton schwankte zwischen Ironie und Milde.
    »Das ist die Nacht«, sagte sie. »Ich habe sie geschaffen, damit ihr ausruht, denn ab jetzt werdet ihr für euer Überleben arbeiten müssen. Nachts sollt ihr schlafen. Dann seid ihr ohne Willen und könnt Einblicke in euer Bewusstsein nehmen. Es kennenlernen und gleichzeitig wieder vergessen.«
     
    Eva bemerkte, dass die Stimme für sie offen war. Sie verspürte keine

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