Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
Vom Netzwerk:
bleiben und warten, ob der Andere Reue empfindet und seine Meinung ändert. Komm mal mit.«
    Er erhob sich und führte sie nach draußen zu einer Einbuchtung in den nahen Felsen, wo er zwei ungehäutete Hasen auf einen glatten, sauberen Stein gelegt hatte.
    »Ich habe eine Opfergabe für den Anderen hingelegt. Er soll wissen, dass wir ihm dankbar sind für den Phönix, den er uns geschickt hat, um dich aus dem Feuer zu retten. Es stimmt nämlich, dass er weiter über uns wacht. Vielleicht vergibt er uns ja.«
    »Er verhindert vielleicht, dass wir sterben, aber ob er uns zurückkehren lässt, das ist eine andere Sache.«
    »Denk daran, du hast dich auch getäuscht, als du dachtest, dass es nichts Besonderes wäre, die Frucht zu essen. Vielleicht täuschst du dich ja jetzt auch.«
    »Und wenn er nicht kommt, um die Hasen zu holen?«
    »Dann bringen wir sie ihm hin. Wir bringen ihm jeden Tag eine Gabe, um sein Herz zu erweichen.«
     
    Als sich Eva an jenem Abend niedergelegt hatte, merkte sie, dass der Schlaf nicht kommen wollte. Sie öffnete in der Finsternis die Augen und sah den funkelnden, starren Blick der Katze und das rötliche Schimmern der Glut, die Adam mit trockenem Gras und Zweigen speiste, damit sie nicht erlosch. Sie verstand die Grausamkeit nicht, doch allein das Wort hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in ihrem Mund. Sie schloss die Augen wieder. Dann erforschte sie ihre Furcht.
    Sie versuchte das Blut aus ihrem Schoß vom Blut der Hasen zu unterscheiden. In ihrem Geist tauchte wieder das Meer auf mit dem langen, leeren Strand, wo die Wellen ihr endloses Lied sangen. In der Ferne entdeckte sie auf den Felsen eine Gestalt. Sie dachte, es wäre Adam, und ging auf ihn zu. Da überraschte sie das Antlitz einer anderen wie sie. Aber noch mehr erstaunte sie, dass sie sie kannte und ihren Namen wusste. Im Unterschied zu ihr selbst, die ihre Blöße nur dürftig mit dem groben, zerrissenen Fell bedeckte, das sie als einziges Kleidungsstück kannte, war die Frau in ein Federkleid gehüllt, das ihre Linien weich umspielte. Eva hörte, dass die andere zu ihr sprach, aber ihre Worte wurden vom Wind davongetragen. Sie wollte hören, was die andere zu ihr sagte, und versuchte ihr näher zu kommen und die Barriere der inzwischen dichten, milchigen Luft zu überwinden. Sie hatte schon den Mund voller Salz, aber sie gab nicht auf. Sie wollte unbedingt wissen, wer das war, diese Frau wie sie, die unversehens in ihrer Einsamkeit auftauchte.
    Schließlich gelang es ihr, sich vom Wind loszumachen, der an ihr zerrte, und sie fiel bäuchlings auf die Frau. In der Umarmung löste sich das Gesicht, das sie angeschaut hatte, auf. Als sie das Gleichgewicht zurückgewann, war sie am Strand allein, saß in ein Federgewand gekleidet an der Stelle der anderen und schaute aufs Meer hinaus.
     
    »Adam, wo gehen wir hin, wenn wir träumen? Wer ist das, die wie wir sind und uns im Traum begegnen? Heute Nacht habe ich am Strand eine wie mich gesehen. Vielleicht gibt es sie ja dort. Wir sollten sie suchen gehen.«
    In seinen Träumen tauchten ebenfalls andere auf wie er, erzählte Adam. Er glaubte nicht, dass es sie gab. Träume waren, was sie selbst sehen wollten, sagte er.
     
    Er ging hinaus, um nachzusehen, ob Elohim die beiden Hasen geholt hatte. Der Stein war leer, aber oben auf dem steilen Felsen am Gipfel des Berges sah er zwei große Geier auf der Lauer sitzen. Er lief, um die Felle zu retten, die er zum Trocknen hinausgehängt hatte, weil er ahnte, dass es nicht Elohim gewesen war, der sein Opfer angenommen hatte.
    »Wir sollten es ihm zum Garten bringen«, beschloss er beim Eintreten.
     
    Eva ließ ihn von den Apfelsinen und den Datteln kosten. Er aß langsam und genoss den süßen Saft und das Fruchtfleisch. Sie hob die Kerne auf, um sie später in die Erde zu stecken, damit sie zu Bäumen wurden wie die Feigen. Sie sammelten trockene Zweige, damit sie das Feuer anfachen konnten. Adam trug ein Bündel Hasen auf dem Rücken, als sie sich aufmachten zurück zum Garten.
     
    Es war heiß. In der Ferne war der Himmel grau und voller Dunst, als ob die andere Hälfte der Erde, die sie nicht sehen konnten, gerade Feuer fing. Bilder ihrer ersten Tage kamen ihnen in den Sinn: der Tumult und das Flackern, das sie damals sorglos beobachtet hatten. Diesmal versetzten sie die Vorboten der Katastrophe und das Tosen, das den Boden unter ihren Füßen erzittern ließ, in Angst und Schrecken.
    Eva holte Adam ein. Was ist denn da hinten

Weitere Kostenlose Bücher