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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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etwas gemeinsam mit dem Meer«, sagte sie zu Adam. »Er bewegt sich wie die Wellen. Jede Welle reißt an mir, vielleicht kleben die Kinder an meinem Fleisch fest, und Elohim reißt sie mit einem scharfen Stein aus mir heraus.«
    Die Schmerzen wurden stärker. Sie hatte keine Erklärungen mehr, um zu verstehen, was da mit ihrem Körper geschah. Anstatt sich einen Reim darauf machen zu wollen, begann sie nun, sich wild dagegen zu wehren, biss die Zähne zusammen, verkrampfte sich, legte schützend die Arme um ihren Bauch, schrie und heulte aus Leibeskräften. Adam saß hinter ihr, tätschelte ihr den Kopf, strich ihr über die Haare und schrie und heulte mit ihr. Die inzwischen zahlreichen Fledermäuse in ihrer Höhle erwachten aus ihrem Tagesschlummer und flohen ganz nach oben. Das Jaulen und Weinen von Mann und Frau wurde höher und schriller, je mehr Druck der Schmerz auf Eva ausübte, die fürchtete, diese geballte Faust könnte sie am Ende erdrücken. Ihre Schreie waren laute, gedehnte Klangfetzen, die sich von den Höhlenwänden zurückgeworfen durch die Öffnung des Lichtschachts über die Welt legten. Seins war ein ohnmächtiges, zorniges Klagen, heiser und voller Verwirrung. Im ganzen Körper spürte er unerträglich den Schmerz der Frau. Ein haltloses Weinen schüttelte ihn, als er sie derart leiden sah.
    Der Wind trug Adams und Evas Schreie bis zur großen Ebene, wo die Tiere grasten, ließ sie im Gebirge widerhallen und über dem Fluss niedergehen.
    Da setzten sie sich in Bewegung, die wilden Tiere und die Großkatzen, die Pferde, die Füchse, die Hasen, der Bär, die Eidechse, das Rebhuhn, die Kühe, die Ziegen, die Büffel auf der Prärie und die Affen, all die großen und kleinen Tiere folgten dem Klagelaut, als wäre er ein Ruf. Staubwolken stoben unter den Hufen von Pferden und Bisons und den schnellen Tatzen der Raubkatzen und Bären auf, als könnte jener wortlose Laut das Vergessen, das sich beim Auszug aus dem Garten über die Schöpfung gelegt hatte, überwinden.
    Falken, Adler, Drosseln, Spechte und Eichelhäher kamen als Erste und setzten sich auf die Felsvorsprünge in den Wänden, die mit Evas Zeichnungen überzogen waren. Nacheinander kamen im Laufe dieses von Wehlauten beherrschten Tages auf leisen Sohlen die großen Vierbeiner hinzu, die Raubtiere, die Kojoten, die Wölfe. Adam geriet für Augenblicke in Panik, als er Tiger, Wildschweine und Leoparden die Schwelle der Höhle überschreiten sah. Seine Schreie wandelten sich zu Überraschungsrufen und in ein erleichtertes, staunendes Weinen, als er in einer langen Prozession erst die Pferde, dann die Ziegen, die Hirsche und die Esel herbeikommen sah. Jäger und Gejagte standen Seite an Seite, mit einem Mal ihres Hungers und ihrer feindseligen Instinkte ledig.
    Mit dem Kopf zwischen den Knien an der Felsenwand lehnend, wiegte sich Eva, vom Schmerz verzehrt, vor und zurück und spürte die Anwesenheit der Tiere, ehe sie aufsah. Mit einem Mal fühlte sie sich umhüllt von einem warmen Atem und eingeschlossen von einer sanften Präsenz, die den Raum rundum weich machte und sie festhielt. Sie hob den Kopf und sah, wie sich all die Tiere im Kreis um sie herum aneinanderdrängten, in einer versöhnlichen, unterstützenden Haltung, als wäre die Natur mit einem Schlag zu der Zeit zurückgekehrt, als es weder Misstrauen noch Tod gab und alle Kreaturen noch den Glanz und die weißen Blütenblätter des Paradieses miteinander teilten. Ein Pferd berührte mit seinem weichen Maul Adams Schulter, und ein Ozelot fuhr Eva mit der Zunge übers Gesicht. Seit Elohim sie aus dem Garten vertrieben hatte, war in Eva nie wieder das wohlige Gefühl des Aufgehobenseins entstanden, wie sie es jetzt empfand. Die Tiere mit ihren kräftigen Körpern und ihren gutmütigen Gesichtern erinnerten sie wehmutsvoll an ihre eigene Unschuld. Sie schluchzte, traurig und seltsam glücklich zugleich. Jetzt merkte sie, wie sehr sie die Sanftheit und die Einfachheit der Tiere vermisst hatte. Bei dem Gedanken, dass ihr Wehgeschrei sie so berührt hatte, spürte sie Dankbarkeit, eine tiefe Hingabe und ein Loslassen, dass sie glaubte, sich ganz und gar entleeren zu müssen. Bei dieser Empfindung lösten sich die Muskeln, mit denen sie die Geschöpfe in ihrem Bauch festgehalten hatte, weil sie sich weigerte, an Elohims Schöpfung teilzuhaben. Umgeben von den Tieren und beim Anblick von Adams angerührtem, liebevollen Gesicht auf der anderen Seite ihrer Beine, unternahm sie die gewaltigste

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