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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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Holz. Ihre Augen waren jedoch wunderschön, klein zwar, aber leuchtend. Aklia besaß zudem die vollkommensten Hände und Füße von allen Kindern. Sie war gescheit und geschickt. Sie verstand etwas vom Nutzen der Dinge. Sie stellte aus Knochen Nadeln her und nähte Felle zusammen, spann die Wolle der Schafe. Ihre Körpergewandtheit und ihre Größe gereichten ihr zum Vorteil. Niemand konnte wie sie auf Bäume klettern und von den Palmen die Datteln herunterholen. Eva nahm sie in Schutz und verwöhnte sie, um sie für das zu entschädigen, was ihr die Geburt nicht mitgegeben hatte. Obwohl ihre Geschwister größer und schöner waren als sie, schien Aklia am meisten Stärke zu besitzen und der Essenz dessen, was sie umgab, am nächsten zu sein.
     
    Schon vor geraumer Zeit hatten Eva und Adam sich gefragt, was wohl der Grund dafür war, dass Elohim ihnen zwei Zwillingspärchen geschickt hatte.
    Wachset und mehret euch, hatte er gesagt. Denn außer ihnen bewohnte niemand jene Welt.
    Kain wird sich mit Aklia paaren und Abel mit Luluwa, verkündete Adam eines Tages. So würde sich das Blut der beiden Niederkünfte mischen. Es sei nicht gut, das Blut aus ein und demselben Mutterschoß zu vermengen. Elohim habe ihm das in einem Traum gesagt, der ihn in den Garten Eden zurückversetzt habe.
    Ein wirrer Traum, erzählte er. Der Garten sei ihm darin alt und heruntergekommen erschienen. Er habe sich wegen all dem Schlamm und der vielen umgestürzten Bäume kaum von der Stelle bewegen können. Ein feuchter, milchiger Dunst habe zwischen den seltsamen Zweigen geschwebt, an denen bleiche Farne in Büscheln hingen wie strubbeliges Haar. Kletterpflanzen mit riesigen gezähnten Blättern erstickten die großen Zedern, und durch die offenen Himmelsspalten sei kaum Licht auf jene überwucherte Sumpflandschaft gefallen, in der sich die Arten gegenseitig erdrückten und einen Kampf auf Leben und Tod führten.
    Inmitten seiner ziellosen Wanderung sah Adam in seinem Traum Aklia, wie sie von Ast zu Ast sprang, verfolgt von einem Gorilla mit unendlich traurigen Augen. Dann sah er Kain, wie er ihr folgte und versuchte, einen Baum nach dem anderen zu fällen, indes die Schwester dem Holzhammer auswich, mit dem er auf Zweige und Stämme eindrosch. Er sah den schlafenden Abel und an seiner Seite Luluwa, die Hände vors Gesicht geschlagen. Er redete auf die Kinder ein und befahl ihnen, zurückzukommen, aber sie hörten ihn nicht. Obwohl sie sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden, schienen sie sehr weit weg zu sein. Dann hatte der Gorilla zu seinem Schrecken plötzlich mit Elohims Stimme gesprochen: Abel mit Luluwa, Kain mit Aklia, das Blut darf sich nicht mischen, donnerte er. Als Adam erwachte, hallte der Klang dieser Worte im ersten Morgenlicht wider.
    Diesen Traum hatte er oft geträumt, seit die Kinder klein waren. Es sei ein furchtbarer Traum, ließ er Eva wissen. Ein Traum, der ihm den Atem benahm und aus dem er jedes Mal voller Angst aufschrak; da er aber mit solcher Eindringlichkeit stets aufs Neue geträumt werden wollte, deutete Adam ihn als ein Zeichen von Elohims Willen.
     
    Eva misstraute Adams Mitleid gegenüber Aklia, der bei ihr die größte Nachgiebigkeit walten ließ. Häufig überraschte Eva ihn dabei, das Kind mit einer Spur Unglauben zu betrachten, so als fiele es ihm schwer, zu akzeptieren, dass ebenso wie die anderen auch sie aus ihnen erschienen war. Dass es den beiden Zwillingspaaren bestimmt sein sollte, sich miteinander zu kreuzen, erschien Eva nur natürlich, zumal sich ihre männlichen Nachkommen ohne das gleichzeitige Erscheinen ihrer Schwestern mit ihrer eigenen Mutter hätten fortpflanzen müssen.
    Diese Welt war schrecklich, so dachte sie bisweilen. Diese ständige Unsicherheit des Lebens und ihr ganzes Unwissen, dabei hatten sie für ihr Wissen solche Strafen erlitten. Wie konnte man da noch annehmen, dass Elohim sich nicht über sie lustig machte! Grausamer Elohim. Ein Vater, der seine Kinder im Stich lässt, grausam! Jetzt, da sie selbst Mutter war, kam ihr sein Verhalten noch unverständlicher vor.
    Und die Mutterschaft war ein bleibender Zustand. Genauso wie der Schmerz. Ihre Kinder waren jetzt Halbwüchsige. Schon bald würden sie sich miteinander paaren müssen. Da sie Adams Träume kannte und wusste, dass sie ihnen oftmals die Richtung wiesen, ahnte sie, als die Kinder größer wurden, dass sie ihnen den Kummer nicht würden ersparen können. Kain war von klein an kräftig. Und stoisch. Wenn er sich

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