Unendlichkeit in ihrer Hand
haben?«
»Ja. Sobald sie bluten, müssen wir ihnen ihre Partner geben.«
»Wie ich diesen Tag fürchte, Adam.«
Kapitel 22
S chon seit langem legte Adam Hölzer vor den Höhleneingang, um zu verhindern, dass Tiere eindrangen und sie angriffen. Trotzdem konnte das jeden Tag geschehen. Sie waren jetzt mehr. Sie lagerten Essen. Sie kochten es. Der Geruch ihres Lebens breitete sich weit aus. Wenn die Nahrung knapp wurde und die Kälte zurückkehrte, waren sie in Gefahr. Es war Zeit, fortzuziehen. Sie machten sich auf die Suche nach einer anderen Höhle. Die Felsformationen rundherum boten viel Unterschlupf, aber sie brauchten eine Bleibe mit einem breiten Zugang, um eine Grube auszuheben. Damit wollten sie ihr Heim schützen. Über die Baumstämme, die sie nachts fortnehmen würden, gelangten nur sie hinein und hinaus.
»Die Idee ist alt«, bemerkte Eva. Auf dieselbe Weise hatte Elohim ihnen die Rückkehr ins Paradies verwehrt. Mit einer Schlucht.
Sie würden es ihm gleichtun.
Aklia und Eva fanden eine Höhle, die sich für ihr Vorhaben eignete. Sie war weitläufig, hoch und hatte ein Loch in der Decke, wo der Rauch von der Feuerstelle abziehen konnte.
Kain suchte Stämme und rammte sie mit der Spitze in den Boden, um den Graben auszuheben. Adam markierte die geplante Breite.
Kain und Luluwa waren kräftig. Seite an Seite brachen sie im Gleichtakt die Erde auf. Aklia und Abel versuchten es ebenso. Aber Aklia musste aufgeben, so dass Abel ohne sie weiterschaufelte. Er will Luluwa zeigen, dass er genauso stark ist wie Kain, dachte Eva, als sie ihnen zusah. Was sich Elohim wohl dabei gedacht hatte, einer ihrer Töchter so viel mehr Schönheit zu verleihen als der anderen? Und warum hatte Schönheit so viel Macht? Sie sah, wie Abel und Adam jede von Luluwas Bewegungen mit den Augen verfolgten, die Grübchen über ihren Hüften anschauten, die langen Beine, die Arme, die Brüste. Selbst sie kam nicht umhin, zu bewundern, wie sich der geschmeidige Körper hob und senkte, um das Loch auszuheben. Adam war sich Evas Anwesenheit bewusst, wie sie da unter einem Baum saß und einen Augenblick ausruhte. Er betrachtete die Tochter aus den Augenwinkeln und wandte sich dann, über seine eigenen Gedanken beschämt, rasch wieder ab. Abel dagegen, arglos wie er war, verbarg seine Faszination nicht. Da sah Eva Kain mit einem Mal innehalten und beobachtete, wie er Luluwa am Arm packte und schubste, bis sie vor Abel stand. Sie konnte von ihrem Platz aus sehen, wie ihr Sohn sich seinem Bruder drohend gegenüberstellte. Worauf Abel mit erschrockenen Augen den Vater suchte. Adam forderte Luluwa auf, sich bei Eva auszuruhen. Ich bin nicht müde, widersprach sie. Trotzdem, sagte Adam. Geh zu deiner Mutter.
Luluwa ließ sich neben Aklia nieder, die gerade eine Matte aus Lianen flocht. Einsame Luluwa. Eva gewahrte, dass Luluwa von klein auf eine feine Aura umgab, die sie von den anderen trennte. Sie war ein bildhübsches Mädchen, aber je älter sie wurde, desto mehr wurde sie von ihrer Schönheit eingeschlossen, und der Weg zu ihr schien wie der Abgrund, der sie vom Garten getrennt hatte, unüberbrückbar.
In der Natur gab es weder unter den Insekten noch unter den Landschaften oder den Pflanzen eine Erscheinung, die das Herz so geblendet hätte wie Luluwa, ohne etwas anderes zu tun, als einfach nur da zu sein. Sie ist schöner als du, hatte Adam ihr einmal gestanden und hinzugefügt, dass er niemals damit gerechnet hatte, dass irgendein Geschöpf ihr an Schönheit gleichkäme. Eva war bis vor kurzem der Ansicht gewesen, dass Luluwa dieselbe Unschuld besaß wie Abel, eine vollkommene, reine Unschuld, außerstande, sich die Komplexität vorzustellen, mit der sich die anderen herumschlugen.
Es war nicht schwer, Abel die Unbekümmertheit, mit der er an das Gute in der Welt glaubte, als Arroganz auszulegen, und ebenso seinen durch nichts zu trübenden Frohsinn und seine Bewunderung Dingen gegenüber, die den anderen unverständlich, fragwürdig und sogar unnatürlich vorkamen.
Im Garten hatte die Schlange zu Eva gesagt, dass Elohim ihnen kein Wissen gegeben hatte, damit sie ihre Zahmheit nicht verloren; er wollte, dass sie waren wie Hund und Katze. Das war Abel, ein hübsches, sanftes, zutrauliches Geschöpf – ein Kind.
Aber Luluwa war nicht so, auch wenn sie gerne auf dieselbe Weise gesehen werden wollte. Luluwa hatte nämlich ein Bewusstsein für die Macht ihrer überwältigenden Erscheinung. Und es gehörte zu ihrem Wesen, das
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