Unendlichkeit in ihrer Hand
sie von den anderen unterschied, diese Macht auszuüben. Allerdings war Eva nicht sicher, ob sie ihre Wirkung auf die Brüder und sogar auf Adam vollständig ermessen konnte.
Aklia bedeckte ihre Blöße mit einer gewebten Wolltunika. Luluwa trug ein winziges Fell um die Taille gebunden.
»Du musst dich bedecken, Luluwa«, sagte die Mutter. »Du bist kein Kind mehr. Du versetzt deine Brüder und sogar deinen Vater in Aufruhr.«
»Ich kann nichts dafür, ich bin, wie ich bin«, erwiderte sie.
»Das weiß ich.«
»Wie kommt es, dass ich sie ansehe, ohne in Aufruhr zu geraten? Also müssen sie doch auf sich aufpassen.«
Eva schwieg. Luluwa sprach wenig. Und wenn sie es tat, dann geradeheraus.
»Luluwa hat recht«, sagte Aklia. »Wieso geraten sie in Aufruhr und wir nicht?«
»Du hättest gern, dass Kain für dich in Aufruhr gerät, stimmt es, Aklia?«, fragte Luluwa.
»Ist das wahr, Aklia?«, wollte auch die Mutter wissen.
»Ich habe mich Kain immer am engsten verbunden gefühlt«, erwiderte Aklia. »Er ist nicht so vollkommen wie Abel. Und ich bin nicht so vollkommen wie Luluwa.«
»Aber Kain ist mein Zwilling«, sagte Luluwa. »Er gehört mir und ich ihm.«
»Abel schaut mich nie an«, sagte Aklia. »Aber Kain bringt mir Früchte und Nüsse.«
»Abel schaut nur sich selbst an. Er braucht uns nicht. Er braucht niemanden«, stellte Luluwa fest.
»Er ist sehr gütig«, sagte Eva. »Er ist glücklich.«
»Er zweifelt nie«, sagte Luluwa. »Nie hat er eine Frage. Er und seine Tiere, die verstehen sich.«
Danach sprachen sie nicht mehr und sahen den Männern beim Graben zu.
War es möglich, dass nur die Männer in Aufruhr gerieten? Luluwa und Aklia waren noch zu jung, um das zu beantworten, aber Eva kannte sehr wohl das Drängen in ihrem Körper, wenn Adam sie nachts wiegte. Das wurde sicher durch seine Nähe hervorgerufen. Allein ihn zu sehen genügte nicht. Sie fand Adam durchaus schön und bewunderte den Umfang seiner Arme, seine breiten Schultern und die Kraft in seinen Beinen, aber es waren seine Augen und die Art, wie er sie ansah, die bei Tag oder Nacht eine Gelegenheit schufen, dass sie einander beiwohnten und sich in der Einsamkeit ihrer Verbannung damit trösteten, zusammen zu sein. Fraglos ließen sich Männer leichter beeindrucken. Schönheit allein genügte, damit ihre Körper antworteten. Und wenn sie Luluwa ansahen, so bemerkte Eva, dann wurden sie einander fremd und waren mit einem Mal vom Instinkt besessen, sich die Beute zu holen. Wieso beunruhigte sie Schönheit so sehr, anstatt in ihnen den Wunsch zu wecken, sie zu feiern? Danach würde sie Adam fragen müssen, dachte Eva. Abel würde ihr darauf bestimmt keine Antwort geben können. Kain vielleicht auch nicht. War es wirklich Luluwas Schönheit oder ein anderer Grund? Die Sonne oder der Mond? Wo würde das alles enden? Was würde geschehen, wenn Adam Kain sagte, dass sich Luluwa mit Abel paaren sollte?
Eva träumte von der Schlange. Sie erschien ihr wie vorher, als sie noch nicht kroch, sondern aufrecht neben dem Baum stand, die goldene Haut von Schuppen bedeckt, das Gesicht flach und mit einem weichen Federbusch auf dem Kopf.
»Hat dir Elohim vergeben?«, fragte Eva.
»Im Traum vergibt er mir immer.«
»Was träumt er?«
»Er träumt, dass er bereut. Er hat Angst.«
»Was wird uns glücklich machen?«
»Die Rastlosigkeit. Die Suche. Die Herausforderungen.«
»Du hast doch gesagt, Elohim hätte uns allein gelassen, um auszuprobieren, ob wir in der Lage sind, zum Anfang zurückzukehren. Werden wir erst dann glücklich sein?«
»Elohims Zeit ist sehr langsam.«
Eva erwachte. Sie wollte nicht aufwachen. Sie kniff die Augen zu. Wann, sag mir, wann dürfen wir zurück?, fragte sie in die Finsternis hinein. Niemand antwortete.
Kapitel 23
S ie benötigten zwei Vollmonde, bis sie den Graben fertig hatten. Beim zweiten Neumond bluteten Aklia und Luluwa. Eva schloss sie in die Arme und beruhigte sie.
»Ich weiß nicht, weshalb das so ist, aber nach dem Blut kommen die Kinder.«
Sie erzählte jeder von ihrer Geburt. Da verstanden Aklia und Luluwa, was es mit dem blinden Loch in ihrer Bauchmitte auf sich hatte. Das war der Nabel. Weder Adam noch Eva hatten einen solchen. Sie fragten: Wie lange müssen wir noch warten, ehe wir Kinder bekommen? Was tragen die Männer dazu bei? Warum sehen Abel und Kain aus wie Adam?
Eva lächelte. Sie wollten aber auch alles wissen.
Es war noch früh am Morgen. Die regnerische, kalte
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