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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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dritte Arm heraus und fing ein neues Kabel ein, das zufällig ihre Richtung kreuzte. Wieder glitten sie eine Sekunde dahin, dann begann das Absacken und wieder Aufsteigen von neuem, bis Khouri ein vertrautes Unbehagen im Magen spürte. Es machte die Sache auch nicht besser, dass die Schaukelei offenbar keinerlei Regeln unterworfen war. Die Gondel schien sich die Route im Fahren zusammenzustellen und zum Glück immer dann ein Kabel zu finden, wenn sie eins brauchte. Khouri suchte die Übelkeit mit Atemübungen zu bekämpfen und bewegte nervös die Finger in den schwarzen Lederhandschuhen.
    »Zugegeben«, sagte Kiste, »ich habe mich den städtischen Wohlgerüchen schon seit längerem nicht mehr ausgesetzt. Aber du solltest die Luft nicht kritisieren. Sie ist nicht ganz so schmutzig, wie es scheint. Die Filteranlagen gehörten zu den wenigen technischen Geräten, die auch nach der Seuche noch funktionierten.«
    Nachdem sich die Gondel an den eng zusammengedrängten Gebäuden der unmittelbaren Umgebung vorbei geschaukelt hatte, kam langsam ein größerer Bereich von Chasm City in Sicht. Man konnte sich kaum vorstellen, dass dieser Wald aus grotesk verkrüppelten Bauwerken einmal die wohlhabendste Stadt in der Geschichte der Menschheit gewesen sein sollte; der Ort, an dem – fast zwei Jahrhunderte lang – der Strom von neuen künstlerischen und wissenschaftlichen Errungenschaften nie versiegt war. Inzwischen gaben sogar die Einheimischen zu, dass ihre Stadt bessere Tage gesehen hatte. Sie nannten sie ›die Stadt, die nie erwacht‹, und das war nicht unbedingt ironisch gemeint. Tausende von ehemals reichen Bürgern lagen in Kryo-Krypten, um in der Hoffnung, diese Epoche sei nur ein Irrweg des Schicksals, im Kälteschlaf Jahrhunderte zu überspringen.
    Ganz Chasm City lag in einem natürlichen Krater mit einem Durchmesser von sechzig Kilometern. Innerhalb des Kraterrandes umschloss die Stadt wie ein Ring eine tiefe Spalte – den ›Abgrund‹, nach dem sie benannt war. Geschützt wurde sie von achtzehn Kuppeln, die alles von der Kraterwand bis zum Rand des Abgrunds bedeckten. Die an den Rändern miteinander verbundenen und hier und dort von Türmchen gestützten Kuppeln erinnerten frappant an die Tücher, mit denen man nach dem Tod eines Wohnungseigentümers die Möbel abdeckte. In Chasm City hießen sie das Moskitonetz, aber es gab dafür noch mindestens ein Dutzend weiterer Bezeichnungen in ebenso vielen Sprachen. Die Kuppeln waren lebenswichtig für die Stadt, Yellowstones Atmosphäre – ein eiskaltes Gebräu aus Stickstoff und Methan, mit langen Kohlenstoffketten gewürzt – wäre sofort tödlich gewesen. Zum Glück schützte der Krater die Stadt vor den schlimmsten Stürmen und den Springfluten aus flüssigem Methan. Die heiße Gasbrühe, die der Abgrund ausrülpste, ließ sich mit relativ billigen und einfachen Cracking-Anlagen zur Atmosphäretransformation in atembare Luft verwandeln. Außer Chasm City gab es auf Yellowstone noch eine Hand voll anderer, wesentlich kleinerer Ansiedlungen, doch die hatten allesamt viel mehr Mühe, ihre Biosphäre aufrechtzuerhalten.
    In der ersten Zeit auf Yellowstone hatte Khouri die Einheimischen immer wieder gefragt, warum man denn einen so unwirtlichen Planeten überhaupt besiedelt habe. Auf Sky’s Edge mochten unaufhörlich Kriege toben, aber wenigstens konnte man dort ohne Kuppeln leben und brauchte die Atmosphäre nicht aufzubereiten. Aber sie hatte bald gelernt, auch dann keine sinnvolle Antwort zu erwarten, wenn die Frage nicht als Unverschämtheit einer aufdringlichen Fremden aufgefasst wurde. Immerhin lag eines auf der Hand: zunächst hatte der Abgrund die Forscher angezogen, dann war ein fester Außenposten entstanden, und der hatte sich zu einem Siedlerstädtchen entwickelt. Wilde Gerüchte über Reichtümer, die in den Tiefen des Abgrunds schlummern sollten, hatten Scharen von Verrückten, Glücksrittern und Träumern mit leuchtenden Augen angelockt. Einige waren enttäuscht wieder abgezogen. Andere waren im heißen, giftigen Atem des Abgrunds ums Leben gekommen. Doch einige wenige waren geblieben, weil die aufstrebende Stadt an diesem gefährlichen Ort sie irgendwie fesselte. Ging man im schnellen Vorlauf zweihundert Jahre weiter, dann wurde aus der Hand voll Hütten… eine Großstadt.
    Ein dichter Wald aus buckligen, ineinander verfilzten Gebäuden erstreckte sich nach allen Seiten, so weit das Auge reichte, und verlor sich schließlich im Nebel. Die ältesten

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