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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Kandidaten verschliefen den Flug und auch die folgenden Wochen, in denen die Beobachtungsstation den nominellen Sicherheitsabstand von 3 AE, den sie bis dahin eingehalten hatte, vorsichtig verringerte. Sie wurden erst am Abend vor ihrem Aufbruch zum Schleier geweckt.
    »Ich… erinnere mich«, sagte Sylveste. »An Spindrift.« Eine kleine Pause trat ein. Der Arzt klopfte sich weiterhin mit dem Stift gegen die Unterlippe, während er die riesigen Informationsmengen aus den medizinischen Analysesystemen aufnahm. Dann nickte er und gab ihn für die Mission frei.
 
    »Die alte Stadt hat sich ziemlich verändert«, sagte Manoukhian. Khouri sah es selbst. Was da unter ihr lag, war kaum noch als Chasm City zu erkennen. Das Moskitonetz war verschwunden. Die Stadt war den Elementen wieder schutzlos preisgegeben, die Gebäude, die einst unter einem Meer von Kuppeln Geborgenheit gefunden hatten, ragten nackt in Yellowstones Atmosphäre. Das schwarze Château der Mademoiselle gehörte nicht mehr zu den höchsten Bauten. Terrassenförmig ansteigend stießen riesige Ungeheuer, durchsiebt von Dutzenden winziger Fenster, geschmückt mit den riesigen Boole-Symbolen der Synthetiker, stromlinienförmig wie Haiflossen oder Spinifex-Gräser in den bräunlichen Gluthimmel. Wie die Segel einer Jacht ragten Gebäude auf schlanken Masten aus den Resten des Mulch, so dass sich der Wind an ihren Vorderkanten brach. Nur hier und dort waren noch einige der knorrig verkrümmten Bauwerke von damals zu sehen, vom Baldachin war nur ein kümmerlicher Rest geblieben. Den alten Stadtwald hatten die glänzenden Messertürme gnadenlos zerhackt – er war Geschichte.
    »Man hat im Abgrund einen Organismus gezüchtet«, sagte Manoukhian. »Ganz unten in der Spalte. Man nennt ihn Lilly.« Ekel und Faszination sprachen aus seiner Stimme. »Augenzeugen beschreiben ihn als riesiges, atmendes Gekröse – wie ein Stück von Gottes Magen. Er haftet an den Wänden des Abgrunds. Die Gase, die aus den Tiefen aufsteigen, sind giftig, aber wenn sie Lilly passiert haben, sind sie mit knapper Not atembar.«
    »Und das alles in zweiundzwanzig Jahren?«
    »Ja«, antwortete eine Stimme. In den glänzend schwarzen Panzerjalousien spiegelte sich eine Bewegung. Khouri drehte sich rasch um und sah einen Palankin, der lautlos stehen blieb. Der Anblick weckte Erinnerungen an die Mademoiselle und an vieles andere. Es war, als sei seit ihrer letzten Begegnung nicht mehr als eine Minute vergangen.
    »Ich danke dir, dass du sie hergebracht hast, Carlos.«
    »War das alles?«
    »Ich denke schon.« Die Stimme hallte nach. »Die Zeit drängt nämlich. Auch nach so vielen Jahren noch. Ich habe ein Schiff ausfindig gemacht, das jemanden wie Khouri sucht, aber es bleibt nur ein paar Tage, bevor es das System wieder verlässt. Khouri muss also informiert, auf ihre Rolle vorbereitet und der Besatzung vorgestellt werden, bevor uns die Chance durch die Lappen geht.«
    »Und wenn ich nein sage?«, fragte Khouri.
    »Aber Sie werden nicht nein sagen, nicht wahr? Nicht mehr, seit Sie wissen, was ich Ihnen zu bieten habe. Oder haben Sie das vergessen?«
    »So etwas vergisst man nicht so leicht.« Sie erinnerte sich jetzt ganz deutlich, was ihr die Mademoiselle gezeigt hatte: der zweite Kälteschlaftank war besetzt. Fazil lag darin, ihr Mann. Allem, was man ihr erzählt hatte, zum Trotz, war sie nie von
    ihm getrennt gewesen. Sie hatten Sky’s Edge gemeinsam
    verlassen, die Verwechslung war harmloser gewesen, als sie dachte. Aber man hatte sie getäuscht. Die Handschrift der Mademoiselle war von Anfang an zu erkennen. Es war schon ein wenig zu einfach gewesen, als Killer bei den Schatten unterzukommen; im Rückblick war klar, dass man dabei nur ihre, Khouris, Eignung für die bevorstehende Aufgabe hatte prüfen wollen. Sie gefügig zu machen war danach ein Kinderspiel. Die Mademoiselle hatte Fazil. Wenn Khouri es ablehnte zu tun, was man von ihr verlangte, würde sie ihren Mann nie Wiedersehen.
    »Ich wusste, dass Sie vernünftig sein würden«, sagte die Mademoiselle. »Was ich von Ihnen will, ist wirklich nicht so schwierig, Khouri.«
    »Was sind das für Leute, für die ich arbeiten soll?«
    »Es sind Händler«, beschwichtigte Manoukhian. »Das war ich früher auch einmal. Deshalb konnte ich zu Hilfe kommen, als…«
    »Genug, Carlos.«
    »Verzeihung.« Er sah sich nach dem Palankin um. »Ich will nur sagen, sie können so schrecklich nicht sein.«
 
    Ob es Zufall war oder ob eine

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