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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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unbewusste Absicht dahinter steckte, war nie vollkommen klar, jedenfalls ähnelte das Kontaktmodul der SISS dem Unendlichkeitszeichen: zwei Kapseln vollgepackt mit Geräten zur Lebenserhaltung, Sensoren und Kommunikationstechnik bildeten die beiden Halbschleifen, dazwischen befand sich ein mit Korrekturtriebwerken und weiteren Sensorfeldern besetzter Kragen. Jede Hälfte bot Platz für zwei Personen, und sollte es bei einem der Abgeordneten während der Mission zu einem Neuralversagen kommen, so konnten eine oder auch beide Kapseln abgesprengt werden.
    Das Kontaktmodul baute Schub auf und stürzte auf den Schleier zu, während sich die Station in Richtung auf das Lichtschiff hinter die Sicherheitszone zurückzog. Pascales Schilderung zeigte, wie das Modul immer kleiner wurde. Bald waren nur noch das grelle Blau aus den Triebwerken und die roten und grünen Blinklichter der Positionsbeleuchtung zu sehen. Endlich verblassten auch sie und wurden von der Schwärze verschluckt wie von einem sich ausbreitenden Tintenfleck.
    Niemand wusste genau, was dann geschah. Die meisten der Informationen, die Sylveste und Lefevre beim Anflug gesammelt hatten, gingen in den folgenden Ereignissen verloren, auch die Daten, die zur Station und zum Lichtschiff übertragen wurden. Weder der zeitliche Rahmen noch die chronologische Abfolge der Ereignisse konnten eindeutig festgelegt werden. Bekannt war nur, woran Sylveste selbst sich erinnerte – und da sein Bewusstsein in der Nähe des Schleiers nach eigenem Eingeständnis zeitweilig anders oder nur eingeschränkt funktionierte, konnte man seine Berichte nicht ganz wörtlich nehmen.
    Bekannt war Folgendes. Sylveste und Lefevre flogen näher an den Schleier heran als je ein Mensch zuvor – Lascaille eingeschlossen. Wenn Lascaille die Wahrheit gesagt hatte, konnten ihre Schieber-Transforme die Verteidigungseinrichtungen des Schleiers täuschen und sie zwingen, die Einlass Suchenden mit einer Blase aus abgeflachter Raumzeit zu schützen, während im übrigen Grenzgebiet heimtückische Gravitationswirbel brodelten. Wie das zugehen sollte, war nach wie vor unbegreiflich. Niemand behauptete zu verstehen, wie die Mechanismen im Innern des Schleiers die Raumzeit so aberwitzig stark krümmen konnten, wenn schon für eine unendlich viel weniger scharfe Falte mehr Energie erforderlich gewesen wäre, als in der gesamten Restmasse der Galaxis enthalten war. Ebenso wenig konnte man sich vorstellen, wie es möglich war, dass Bewusstsein in die Raumzeit im Umkreis des Schleiers einsickerte und dem Schleier verriet, was für ein Wesen sich Zugang zu verschaffen suchte, während er gleichzeitig die Gedanken und Erinnerungen ebendieser Wesen veränderte. Offenbar gab es eine geheime Verbindung, ja eine gegenseitige Beeinflussung zwischen dem Denken und den Prozessen, auf denen die Raumzeit aufbaute. Sylveste hatte Hinweise auf eine seit Jahrhunderten überholte Theorie gefunden, wonach angeblich über die Vereinheitlichung eines so genannten Weyl-Tensors eine Verbindung zwischen den Quantenprozessen des Bewusstseins und den Mechanismen der Quantengravitation bestand, auf denen die Struktur der Raumzeit beruhte… aber beim Verständnis des Bewusstseins war man seit damals nicht weiter gekommen, und die Theorie war so spekulativ wie eh und je. Aber vielleicht wurde im Umfeld des Schleiers auch ein noch so schwaches Band zwischen Bewusstsein und Raumzeit massiv verstärkt. Sylveste und Lefevre dachten sich durch den Sturm und beruhigten mit ihrem veränderten Bewusstsein die ringsum nur wenige Meter von ihrem Schiff entfernt tobenden Gravitationskräfte. Sie bewegten sich wie zwei Schlangenbeschwörer, die sich mit ihrer Musik einen kleinen Schutzraum schufen, durch eine Grube voller Kobras. Wobei sie nur so lange in Sicherheit waren, bis die Musik zu spielen aufhörte – oder misstönend wurde – und die Schlangen aus ihrer hypnotischen Lethargie aufschreckten. Wie nahe Sylveste und Lefevre dem Schleier kamen, bevor die Musik umschlug und die Gravitationskobras sich regten, wusste hinterher niemand genau zu sagen.
    Sylveste behauptete, sie seien nie im eigentlichen Grenzgebiet gewesen – er habe mit eigenen Augen noch mehr als die Hälfte des Himmels voller Sterne gesehen. Doch nach den wenigen Daten, die aus dem Forschungsschiff gerettet wurden, war das Kontaktmodul zu diesem Zeitpunkt schon tief ins Innere des Fraktalschaums um den Schleier – in die unendlich verschwommene Grenzzone um das Objekt, in

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