Unendlichkeit
nicht wahr?«
Khouri war klein und drahtig. Ihre Kleidung war schlicht und orientierte sich an keiner bekannten Ultra-Mode. Das schwarze Haar trug sie nur wenige Zentimeter länger als Volyova, kurz genug, um deutlich zu zeigen, dass sie weder klobige Input-Anschlüsse noch Neural-Schnittstellen im Schädel hatte. Das bedeutete zwar noch nicht, dass in ihrem Kopf nicht unzählige Maschinchen summten, aber sie ging jedenfalls nicht damit hausieren. In ihren Zügen mischten sich die wichtigsten Genotypen ihrer Heimatwelt Sky’s Edge; es war ein ebenmäßiges, aber nicht auffallend schönes Gesicht. Der kleine Mund mit den schmalen Lippen war nicht sehr ausdrucksvoll, aber das glichen die Augen wieder aus. Sie waren tief dunkel, fast schwarz und strahlten ein intuitives Wissen aus, das entwaffnend wirkte. Einen winzigen Moment lang fürchtete Volyova, Khouri hätte ihr schäbiges Lügengespinst bereits durchschaut.
»Ja«, sagte Volyova. »Und Sie müssen Ana Khouri sein.« Sie sprach leise. Nachdem sie Khouri jetzt gefunden hatte, wollte sie auf jeden Fall vermeiden, dass andere Stellungsuchende ihr Gespräch belauschten und versuchten, im letzten Augenblick an Bord zu kommen. »Sie haben Kontakt zu unserer Agentenpersönlichkeit aufgenommen und sich nach einer Beschäftigung auf unserem Schiff erkundigt.«
»Ich bin erst vor kurzem auf dem Karussell angekommen und wollte es zuerst bei Ihnen probieren, bevor ich zu den Besatzungen ging, die Stellen ausgeschrieben hatten.«
Volyova roch an ihrem Wodka. »Ungewöhnliche Strategie, wenn ich das sagen darf.«
»Wieso? Die anderen Crews bekommen so viele Bewerbungen, dass sie ihre Gespräche nur noch über Sims führen.« Sie trank mechanisch einen Schluck Wasser. »Ich verhandle lieber mit Menschen. Deshalb musste ich mir eine andere Besatzung suchen.«
»Oh«, sagte Volyova. »Die unsere ist anders, das können Sie mir glauben.«
»Aber Sie sind Händler, ja?«
Volyova nickte begeistert. »Wir haben unsere Geschäfte im Gebiet um Yellowstone fast abgeschlossen. Allzu einträglich waren sie leider nicht. Die Wirtschaft steckt in der Flaute. Wahrscheinlich kommen wir in ein- oder zweihundert Jahren wieder vorbei und sehen nach, ob sie sich erholt hat, aber ich persönlich hätte nichts dagegen, diese Welt nie wiederzusehen.«
»Wenn ich bei Ihnen anheuern wollte, müsste ich mich also schnell entscheiden?«
»Zuerst müssten wir uns natürlich für Sie entscheiden.«
Khouri sah sie scharf an. »Es gibt noch andere Kandidaten?«
»Ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen.«
»Ich könnte es mir schon denken. Sky’s Edge… sicher eine Welt, wo mancher gerne hin möchte, auch wenn er sich die Passage erarbeiten müsste.«
Sky’s Edge? Volyova bemühte sich, keine Miene zu verziehen, aber sie konnte ihr Glück kaum fassen. Khouri hatte sich also nur gemeldet, weil sie immer noch glaubte, die Sehnsucht nach Unendlichkeit flöge nach Sky’s Edge anstatt nach Resurgam. Aus irgendeinem Grund hatte sie nicht mitbekommen, dass Sajaki den Zielhafen geändert hatte.
»Es gibt sicher schlechtere Welten«, sagte Volyova.
»Wie auch immer, ich wäre gern auf Platz eins der Kandidatenliste.« Eine Plexiglas-Wolke kam voll beladen mit Getränken und Drogen über die Deckenschiene gefahren. »Was für eine Position haben Sie eigentlich zu vergeben?«
»Das kann ich Ihnen alles viel einfacher an Bord erklären. Sie haben doch Ihre Reisetasche mitgebracht?«
»Selbstverständlich. Ich bin schließlich wirklich scharf auf den Posten.«
Volyova lächelte. »Freut mich zu hören.«
Cuvier, Resurgam, 2563
Calvin Sylveste manifestierte mit seinem Thronsessel an einem Ende der Gefängniszelle. »Ich habe dir eine interessante Mitteilung zu machen«, sagte er und strich sich den Bart. »Aber du wirst vermutlich nicht sehr davon angetan sein.«
»Mach’s kurz; Pascale muss jeden Moment eintreffen.«
Calvins spöttische Miene vertiefte sich noch. »Eigentlich geht es gerade um Pascale. Du hast sie recht gern, nicht wahr?«
»Das geht dich gar nichts an.« Sylveste seufzte; mit solchen Schwierigkeiten hatte er gerechnet. Die Biografie näherte sich ihrer Vollendung, und er hatte die meisten Teile gesichtet. Trotz aller Präzision in technischen Dingen, trotz der unzähligen Sichtweisen, die geboten wurden, blieb das Werk das, was Girardieu immer geplant hatte: eine raffinierte, ungemein präzise Propagandawaffe. Der subtile Filter der Biografie verhinderte, dass man
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