Unendlichkeit
sagte er, nachdem einer der Soldaten die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. »Wer hätte gedacht, dass wir beide einmal so viel gemeinsam haben könnten.«
»Es ist weniger, als Sie vielleicht denken«, wehrte Sylveste ab.
Girardieu führte die Gruppe durch einen Stollen mit vielen Verstrebungen. Zu beiden Seiten standen ausrangierte und bis zur Unkenntlichkeit verdreckte Maschinen. »Sie fragen sich sicher, was das alles soll.«
»Ich habe einen gewissen Verdacht.«
Die verwahrlosten Maschinen warfen Girardieus Lachen zurück. »Erinnern Sie sich an den Obelisken, den man hier ausgegraben hat? Natürlich – Sie hatten ja auf die phänomenologischen Schwierigkeiten bei der Trapped Electron- Datierung des Felsgesteins hingewiesen.«
»Ganz richtig«, sagte Sylveste bissig.
Die Messergebnisse waren überwältigend. Die Gitterstruktur natürlicher Kristalle war nie absolut vollkommen. Immer gab es Lücken, wo Atome fehlten, und dort sammelten sich im Lauf der Zeit die Elektronen, die an anderen Gitterstellen durch kosmische Strahlung und natürliche Radioaktivität herausgerissen worden waren. Da sich die Löcher auf diese Weise stetig mit Elektronen füllten, konnte man an Hand der Zahl eingefangener Elektronen auch anorganische Funde datieren. Natürlich hatte die Sache einen Haken: das Verfahren war nur sinnvoll, wenn die ›Elektronenfallen‹ irgendwann in der Vergangenheit einmal ›gebleicht‹ oder geleert worden waren. Zum Glück genügte es, den Kristall zu erhitzen oder dem Licht auszusetzen, um die äußersten Fallen auszubleichen. Eine Trapped Electron -Analyse des Obelisken hatte ergeben, dass alle ›Fallen‹ in den Außenschichten unter Berücksichtigung von Mess-ungenauigkeiten etwa zur gleichen Zeit geleert worden waren, nämlich vor neunhundertneunzigtausend Jahren. Nur eine Katastrophe von der Größe des Ereignisses hätte ein so großes Objekt wie den Obelisken so gründlich bleichen können.
Das war so weit nichts Neues; Tausende von Amarantin-Funden waren mit dem gleichen Verfahren datiert und auf das Ereignis zurückgeführt worden. Aber keines dieser Objekte war gezielt vergraben worden. Den Obelisken hatte man dagegen nach der Leerung der Elektronen ganz bewusst in einen Stein-Sarkophag gelegt.
Nach dem Ereignis.
Diese Erkenntnis war selbst für das neue Regime spektakulär genug, um die Aufmerksamkeit auf den Fund zu lenken. Im Lauf des vergangenen Jahres war auch das Interesse an den Inschriften wieder erwacht. Allein war Sylveste nur zu einer allenfalls vagen Deutung gelangt, doch jetzt kam ihm die übrige Archäologengemeinde zu Hilfe. In Cuvier hatte eine neue Freiheit Einzug gehalten; Girardieus Regierung hatte ihre ablehnende Haltung gegenüber der Amarantin-Forschung gelockert, obwohl der Wahre Weg zunehmend fanatischer dagegen opponierte.
Ein ungewöhnliches Bündnis, wie Girardieu sich ausdrückte.
»Sobald wir eine ungefähre Vorstellung hatten, was der Obelisk uns sagen wollte«, erklärte Girardieu, »haben wir das ganze Gebiet abgesperrt und Grabungen bis in sechzig oder siebzig Metern Tiefe durchgeführt. Wir haben noch Dutzende von weiteren Obelisken gefunden – bei allen waren die Elektronenfallen vor dem Vergraben geleert worden, alle trugen mehr oder weniger die gleichen Inschriften. Sie berichten nicht von einem Ereignis in dieser Gegend. Sie weisen darauf hin, dass hier etwas vergraben wurde.«
»Etwas Großes«, sagte Sylveste. »Etwas, das vor dem Ereignis geplant – vielleicht sogar noch vorher verscharrt worden war. Die Wegweiser wurden erst hinterher angebracht, als letzte kulturelle Großtat einer Gesellschaft am Rand der Vernichtung. Wie groß war es denn, Girardieu?«
»Sehr groß.« Und dann berichtete Girardieu, wie sie das Gebiet zunächst mit einer Reihe von Thumpern untersucht hatten: Geräten zur Erzeugung von seismischen Rayleigh-Wellen, die sich durch den Boden ausbreiteten und auf die Dichte von vergrabenen Objekten reagierten. Sie hätten die größten Thumper gebraucht, sagte Girardieu, das bedeute, dass das Objekt in einer Tiefe liege, die mit dem Verfahren gerade noch zu erreichen sei, also in mehreren hundert Metern. Später hätten sie die empfindlichsten Gravitationsscanner der Kolonie eingesetzt. Erst sie hätten ihnen eine Vorstellung davon vermittelt, wonach sie eigentlich suchten.
Nach einem Objekt von beachtlichen Dimensionen.
»Steht die Grabung mit dem Fluter-Programm in Verbindung?«
»Vollkommen unabhängig davon.
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