Unendlichkeit
pflegen. Ich beneide sie nicht. Der Staub muss ihnen doch nicht nur die Lungen, sondern auch den Verstand verstopfen.«
Der Soldat blieb ungerührt. »Die Staubpartikel werden mit Enzymen ausgespült. Ein altes biotechnisches Verfahren vom Mars. Wie auch immer, die Staubdichte ist gesunken. Wir haben so viel Feuchtigkeit in die Atmosphäre gepumpt, dass die Staubteilchen zusammenkleben und vom Wind nicht mehr so leicht davongetragen werden können.«
»Ausgezeichnet«, lobte Sylveste. »Leider ist und bleibt Resurgam ein elendes Dreckloch.«
Er zog sich die Maske über und wartete, bis die Tür geöffnet wurde. Draußen wehte ein mäßig starker Wind, der nur leicht auf der Haut brannte.
Sie rannten über das Vorfeld.
Das geräumige Flugzeug war eine Oase der Stille. Der prunkvolle Innenraum war in Violett gehalten, der Farbe der Regierung. Die Insassen der anderen Fahrzeuge kamen durch eine zweite Tür an Bord. Sylveste sah, wie Nils Girardieu das Vorfeld überquerte. Er bewegte sich mit wiegenden Schritten, die gleich unter den Schultern ansetzten, als würde ein Stechzirkel Spitze für Spitze über ein Zeichenbrett geführt, und strahlte so viel geballte Kraft aus wie ein auf Menschengröße verpresster Gletscher. Dann war der Führer der Kolonie verschwunden, und wenige Minuten später entstand um den Rand des nächstgelegenen Flügels ein violetter Strahlenkranz aus angeregten Ionen. Das Flugzeug hob ab.
Sylveste schuf sich ein Fenster in der Flugzeugwand und beobachtete, wie Cuvier – oder Resurgam City, wie es inzwischen genannt wurde – unter ihm immer kleiner wurde. Zum ersten Mal seit dem Umsturz, bei dem man auch den französischen Naturalisten Cuvier von seinem Sockel gestürzt hatte, sah er die Stadt als Ganzes. Die alte koloniale Schlichtheit war dahin. Ein schmutziger Schaumrand aus menschlichen Wohnsiedlungen quoll über den Kuppelrand hinaus; luftdichte Gebäude, verbunden durch überdachte Straßen und Fußwege. In einiger Entfernung waren viele kleinere Kuppeln entstanden, unter denen smaragdgrüne Plantagen hervorleuchteten. Weit außerhalb lagen sogar unter freiem Himmel etliche scharf rechtwinklige Felder mit Versuchsorganismen, die nur darauf warteten, auf die Welt losgelassen zu werden.
Das Flugzeug drehte eine Runde über der Stadt, dann nahm es Kurs nach Norden. Ein Netz von Schluchten entrollte sich unter ihnen. Gelegentlich überflogen sie eine kleine Siedlung, normalerweise nur eine undurchsichtige Kuppel oder eine stromlinienförmige Baracke, die für einen Moment im Schein der Flügel aufleuchtete. Zumeist sahen sie nur eine endlose Wildnis ohne Straßen, Rohre oder Stromleitungen.
Sylveste nickte immer wieder ein, während unten tropische Wüsten, Eisfelder und importierte Tundraflächen vorbeizogen. Irgendwann stieg eine Siedlung über den Horizont, und das Flugzeug setzte in trägen Spiralen zur Landung an. Sylveste verschob sein Fenster, um besser sehen zu können.
»Die Gegend kenne ich. Dort haben wir den Obelisken gefunden.«
»Richtig«, sagte Pascale.
Das felsige Gelände war kaum bewachsen. Am Horizont ragten mächtige Gewölberuinen und spektakuläre Felssäulen auf. Alles schien unmittelbar vor dem Zusammenbruch zu stehen. Es gab kaum ebene Stellen, das Gebiet war von tiefen Falten durchzogen wie ein ungemachtes steinernes Bett. Sie überflogen einen ausgehärteten Lavastrom und landeten auf einem sechseckigen Feld inmitten von Gebäuden aus Eisenbeton. Obwohl es erst Mittag war, dämpfte der Staub in der Luft das Sonnenlicht so stark, dass man den Landeplatz mit Scheinwerfern beleuchten musste. Milizsoldaten kamen ihnen entgegengelaufen. Sie hielten sich die Hände vor die Augen, um nicht vom grellen Schein an der Unterseite der Flügel geblendet zu werden.
Sylveste griff nach seiner Maske, sah sie verächtlich an und ließ sie auf dem Sitz liegen. Die paar Schritte bis zum Gebäude würde er auch ohne Hilfe schaffen, und wenn er Schwierigkeiten hatte, ging das niemanden etwas an.
Die Miliz geleitete sie in die Baracke. Sylveste war Girardieu seit Jahren nicht mehr so nahe gewesen. Erschrocken stellte er fest, wie klein ihm sein Gegner inzwischen erschien. Girardieu war so gedrungen wie Schürfbagger. Man traute ihm zu, sich durch massiven Basalt zu fressen. Sein rotes Haar war kurz und borstig und zeigte bereits weiße Fäden. Er schaute mit großen Augen so fragend in die Welt wie ein verschreckter Pekinesenwelpe.
»Was für ein ungewöhnliches Bündnis«,
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