Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
uns mit festem Händedruck. Wir setzten uns auf Stühle um einen runden Tisch. Dann begannen Christa und er miteinander zu sprechen und Madar hörte aufmerksam zu, während Christa für sie übersetzte. Ich verstand ohnehin nichts und schaute mich lieber im Raum um. An einer der weißen Wände hing ein Gemälde mit vielen bunten Strichen, das mich an meine eigenen Kindergartenbilder erinnerte. Ich musterte es aufmerksam, aber mir erschloss sich der Sinn nicht. Bei unserem Schuldirektor hätten wir Porträts von Ayatollah Chomeini und Ayatollah Chamenei gesehen, die einen von oben herab streng anstierten.
Die Schreie der spielenden Kinder drangen durch die Fenster. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich mich auf die Schule freuen sollte. Im Iran gehörte ich zu den besten Schülern und hatte in fast allen Fächern eine Zwanzig – die höchste Note. Aber hier? Ich wusste ja nicht einmal, was ich machen sollte, wenn mich jemand im Unterricht ansprach. Ich verstand doch nichts. Zum Glück würde Mojtaba mit mir in einer Klasse sein. Er würde mir bestimmt helfen.
Unsere Blicke trafen sich und er lehnte sich zu mir herüber. Mit hochgezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn zischte er: »Masoud, hast du den Schulhof gesehen? Er ist gar nicht umzäunt. Die können ohne Probleme abhauen!«
Ich deutete ihm mit der Hand an, er sollte leiser sprechen, und flüsterte ihm zu: »Nicht nur das. Hast du die ganzen Mädchen gesehen? Sie dürfen einfach so mit den Jungs rumhängen und niemand trägt eine Uniform! Die tragen sogar Klamotten, die uns der blöde Koranlehrer verboten hatte. So mit Nike- und Adidas-Zeichen drauf.« Ich deutete mit der Hand einen Streifen auf der Brust an. »Und ganz hinten gibt es einen Fußballplatz, mit großen Toren. Wir können …«, da unterbrach mich Madar mit einem eisigen Blick. Ich verstummte und setzte mich wieder gerade hin.
Nach ein paar Minuten ertönte ein Gong. Aus dem Fenster beobachtete ich, wie alle unaufgefordert ins Gebäude hineinliefen. Es gab keine Klassenreihen, keine Reden, nichts. Ganz anders, als ich das kannte: Vor dem Schulbeginn und nach den Pausen mussten wir uns entlang der markierten Linien im Schulhof aufstellen. Um einen gleichmäßigen Abstand zu haben, streckte jeder seinen rechten Arm aus und legte die Hand auf die Schulter des Vordermanns. Wir sangen die Nationalhymne, Sorude Melli-e Iran , und zu wichtigen Anlässen leierte ein Schüler Suren aus dem Koran herunter, was eine große Ehre für ihn darstellte. Währenddessen gingen die Aufsichtslehrer auf und ab und kontrollierten, dass keiner redete oder sich bewegte. Auch die Kleiderordnung wurde überprüft. Wenn sie einen erwischten, dessen Uniform nicht bis oben hin zugeknöpft war, holten sie ihn aus der Reihe nach vorne. Auf Anweisung schritten wir dann klassenweise in die Unterrichtsräume. Nur die Gepeinigten blieben stehen. Erst nachdem sie einen Vermerk ins Ordnungsheft erhalten hatten, durften sie zum Unterricht.
Einmal aber blieb ein Kontrolleur sogar vor mir stehen. Mein Atem stockte. Ich hatte nichts getan, mich kein Stück bewegt! Mit größter Mühe versuchte ich ihn nicht anzuschauen. Als sich eine Hand von der Seite näherte, um nach meiner blauen Uniform zu greifen, kniff ich die Augen zu und wartete darauf, gleich mit voller Wucht aus der Reihe herausgerissen zu werden. Doch es passierte nichts. Überrascht öffnete ich wieder meine Augen und bemerkte, dass er Mojtaba gepackt hatte, der hinter mir stand. Der Lehrer schubste ihn immer wieder nach vorne und gab ihm sogar einen Tritt.
Würden uns die Lehrer in Deutschland genauso behandeln? Der Schuldirektor ließ hoffen, dass es nicht der Fall war. Zum Abschied gab er uns allen wieder die Hand. Wir verließen das Gebäude und gingen zu Christas Auto. Auf der Rückfahrt erklärte uns Madar, dass wir erst in zwei Wochen, nach den Ferien, mit der Schule beginnen würden. Wir kämen in eine besondere Klasse für Ausländer, um erst Deutsch zu lernen.
Damit warteten wir aber nicht zwei Wochen. Christa schenkte uns ein Wörterbuch Farsi-Deutsch und wir lernten täglich Vokabeln. Abends fragte Madar uns ab und für jedes gelernte Wort bekamen wir fünf Pfennig.
Auch an diesem Morgen saß ich mit Mojtaba und Milad am Esstisch und schrieb fleißig in mein Vokabelheft. In die linke Spalte trug ich das persische und in die rechte das deutsche Wort ein. Obwohl ich mich sehr anstrengte, hatten die beiden die letzten Tage über mehr als ich
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