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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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geschafft. Ich konnte nicht begreifen, wie sie das anstellten.
    Mojtaba stützte sich mit dem Ellbogen auf den Tisch und blickte streng auf Milads Heft. »Du suchst wieder nur Vokabeln raus, die sich ums Essen drehen: Torte, Wurst, Knödel.«
    Milad grinste. Während er die Hand auf seinem Bauch kreisen ließ, entgegnete er voller Selbstbewusstsein: »Wir dürfen jede Vokabel nehmen. Das hat uns Madar erlaubt. Du bist ja nur neidisch, weil ich schon am meisten Geld gesammelt habe.«
    »Toll«, spottete Mojtaba weiter, »und was nützen dir diese Fresswörter in der Schule?«
    »Ihr lernt doch beide nur die einfachsten Vokabeln, um viel Geld zu sammeln«, versuchte ich mich zu profilieren. »Ich aber habe viele Wörter, die richtig schwierig sind. Ich sage nur: Park-leit-sys-tem. Jetzt seid endlich ruhig. Ich kann mich so nicht konzentrieren.«
    Plötzlich war ein Bellen von draußen zu hören. »Floppy ist da!«, schrie Mojtaba. Sofort klappte er sein Heft zu, warf seinen Stift hin und sprang auf, um hinauszulaufen. Mittlerweile war der Hund zu unserem besten Spielgefährten geworden. Jeden Mittag kam Andreas, der große Hausmeister, mit ihm auf den Innenhof. Dann holten wir unseren Tennisball heraus, den wir unter einem Bett gefunden hatten. Floppy liebte es, mit dem Ball zu spielen. Mojtaba und ich stritten uns immer, wer werfen durfte.
    Nun schlug auch ich mein Heft zu. »Und, kommst du heute mal mit?«, fragte ich Milad, der sich wieder ins Lernen vertieft hatte.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, geht nur, ich bin für heute noch lange nicht fertig.«
    Es war mir unbegreiflich, warum Milad nicht mit Floppy spielen wollte. Dafür konnte es nur einen Grund geben: Er dachte er an Mamanis Horrorgeschichten über die unzähligen Krankheiten, mit denen Hunde angeblich infiziert seien.
    Draußen wartete unser Freund schwanzwedelnd auf sein Spielzeug. Als er uns sah, begann er zu bellen und sich im Kreis zu drehen. Mojtaba ging zwei Schritte zurück, holte aus und warf den Ball mit voller Kraft. Floppy raste hinterher. Der Ball schaffte es bis zur schmalen Grünfläche auf der anderen Seite und rollte noch ein paar Meter, bis ihn der Hund mit dem Maul schnappte, in einer ruckartigen Drehung kehrtmachte und zu uns zurücklief.
    Ich war nun dran und holte gerade zum Werfen aus, da bog Christas Auto um die Ecke. Madar stieg aus dem Wagen, nahm von der Rückbank zwei große, gelbe Säcke und verabschiedete sich von Christa. »Ich habe was für euch. Das werdet ihr bald für die Schule brauchen«, sagte sie stolz zu uns und ging in die Wohnung. Aufgeregt folgten wir ihr.
    Im Wohnzimmer hatte Milad mit dem Lernen aufgehört und schaute interessiert zu, wie Madar die Säcke auspackte. Sie holte Kleidung und Schulranzen heraus. Erwartungsvoll streckte sie uns die Sachen entgegen, aber keiner von uns nahm sie. Die bunten Klamotten muffelten so sehr, dass ich sogar meine Nase zuhalten musste.
    »Madar, die Dinger sind hässlich! Sollen wir die etwa anziehen?«, fragte Mojtaba ungläubig.
    »Und sie stinken!«, ergänzte ich mit angewidertem Gesicht.
    »Außerdem sind sie gebraucht«, ergriff Mojtaba wieder das Wort. »Die haben anderen Leuten gehört. Was, wenn die Besitzer abgelegtes Zeug an uns wiedererkennen? Das ziehe ich nicht an, das ist mir peinlich. Hast du nicht die Kinder auf dem Schulhof gesehen? Sie alle hatten tolle Sachen. Adidas und Nike! Und wir sollen an unserem ersten Schultag mit solchen Klamotten auftauchen? Das geht doch nicht!«
    Madar schaute uns enttäuscht an. »Aber, Batscheha , seitdem wir uns bei Chaleh Laleh und Amu Haschem verstecken mussten, zieht ihr dieselbe Kleidung an. Sie ist mittlerweile nicht mehr sauber zu kriegen und an einigen Stellen ausgefranst. Ich habe kein Geld, um euch neue Sachen zu kaufen. Für jeden Sack musste ich fünf Mark zahlen. Mehr können wir uns jetzt einfach nicht leisten. Es tut mir leid.«
    Madars trauriges Gesicht machte mir ein schlechtes Gewissen. Widerwillig griff ich nach einem grünen T-Shirt, das mir wegen seiner Farbe einigermaßen gefiel, und hielt es vor mich. Der stechende Gestank drang in meine Nase, aber ich versuchte ihn zu ignorieren. Irgendetwas musste ich ja zum ersten Schultag ja anziehen.
    Und wieder traf ihn ein Papierkügelchen am Hinterkopf. Diesmal blieb es in seinen dünnen, grau melierten Haaren kleben. Herr Bock, so hatte er sich zu Beginn der ersten Stunde schüchtern vorgestellt, schüttelte sein Haar. Doch es brachte nichts. Das

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