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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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nachzudenken eine Fremde hineingelassen hatten. Im Iran wäre uns das nicht passiert. Die Frau, die sich Christa genannt hatte, starrte uns immer noch unverwandt an. Langsam wurde mir die Situation unangenehm, aber zum Glück begann sie endlich zu sprechen: » Oh … ohhh … I … cleaned! … very old house! «
    Ich hatte nicht alles verstanden, aber genug, um peinlich berührt zu sein. Anscheinend hatte Christa die Wohnung schon geputzt und wir zeigten ihr nun anstelle unserer Dankbarkeit Schwämme und Putzmittel. Ich warf Madar einen verstohlenen Blick zu und hoffte, sie wüsste einen schnellen Ausweg aus der Situation, aber ihr Gesicht war dermaßen rot angelaufen, dass ich befürchtete, sie könnte gleich ohnmächtig werden. Vor lauter Unwohlsein spannte sich mein Nacken wie eine zusammengedrückte Sprungfeder, da hörte ich plötzlich das herzhafteste Lachen, seitdem wir unser Zuhause im Iran verlassen hatten: Es war Christa, die schallend wieherte und sich dabei den wackelnden Bauch hielt. Ich weiß nicht, ob es ihre komische Haltung war oder die nach einem Ventil suchende Anspannung, aber kurz darauf brachen alle in heftiges Gelächter aus. Wir konnten uns gar nicht mehr beruhigen. Das hatte es schon seit Monaten nicht mehr gegeben. Am liebsten hätte ich alle fest umarmt, auch diese fremde Frau, die mir augenblicklich ans Herz gewachsen war.
    Später unterhielt sie sich lange mit Madar und verabschiedete sich schließlich mit einem » Call me … if need help « und ihrer Telefonnummer, die sie auf einem Zettel notierte.
    Madar erklärte uns, dass Christa eine Sozialarbeiterin sei. Eine Gruppe, die sich für Asylbewerber einsetze, und die Stadt Lengerich hätten sie gemeinsam engagiert. Christa greife Menschen wie uns unter die Arme, deswegen habe sie auch die Wohnung geputzt. Sie komme am nächsten Morgen nochmal vorbei, um uns an einer Schule anzumelden.
    MASOUD Mir war, als würden wir durch eine zu groß geratene Legostadt fahren: Eine endlose Reihe von bündigen Einfamilienhäusern mit Spitzdächern zog an meinem Autofenster vorbei. Jedes von ihnen ausgestattet mit einem quadratischen Vorgarten und mathematisch präzise angelegten Pflanzen. Dazwischen tauchten immer wieder kleine Schonungen in herbstlichem Grün auf. Aber es war kaum ein Mensch zu sehen. Hier sollten wir also heimisch werden.
    Ich saß mit Mojtaba und Madar in Christas Auto, die uns zu unserer neuen Schule brachte. Milad kam später auf eine andere, weswegen er in der Wohnung geblieben war. Während sich die Erwachsenen vorne unterhielten, hörte ich ihnen nur flüchtig zu. Denn ich war wie gebannt von all den neuen Eindrücken jenseits des Wagenfensters. Nicht nur die Häuser dieser neuen Welt überraschten mich, sondern auch die Autos. Seit Beginn der Fahrt hatte ich nach einem Peykan Ausschau gehalten – aber keinen einzigen erblickt. Nur ausländische Wagen! Außerdem sahen alle Fahrzeuge nagelneu aus, keines von ihnen besaß eine Delle oder war verrostet. Aber es fehlte ihnen anscheinend ein Teil: die Hupe. Im Iran war das ganz anders. Jedes Mal, wenn ich neben Pedar in unserem Peykan saß und ein Stau die Straße blockierte, brach ein dröhnendes Hupkonzert los. Hier erschien mir alles ordentlicher. Jedes Auto fuhr auf seiner Spur, alle hielten sich an die Geschwindigkeitsvorgaben und die Fußgänger blieben sogar dann an der Ampel stehen, wenn kein Auto weit und breit zu sehen war. Auf Teherans Straßen hingegen raste man in Schlangenlinien über den Asphalt, jede Lücke wurde hemmungslos genutzt, und verwegene Fußgänger schlängelten sich zwischen rollenden Klapperkisten hindurch.
    Als Christa in eine Straße einbog, hörte ich Kindergeschrei. Das musste unsere neue Schule sein. Obwohl der Lärm mich an alte Zeiten im Iran erinnerte, war das hier ganz anders. Das Gelände stand völlig offen – ohne Mauern oder Zäune – und war mit Sträuchern und Bäumen begrünt. Ich sah sowohl Mädchen als auch Jungen, die miteinander spielten. Bei uns wäre das undenkbar gewesen. Wir hatten eine reine Jungenschule besucht und durften in den Pausen nicht einmal rennen. Darauf achteten die patrouillierenden Lehrer, die einen sogar gelegentlich mit einem Tritt in den Hintern bestraften, wenn man das Verbot missachtete.
    Im Innern des Gebäudes war es wegen der zahlreichen Fenster so hell wie draußen. Hinter einer Tür wartete ein großer, glatzköpfiger Mann auf uns. Er stellte sich als der Schuldirektor vor und begrüßte

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