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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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unruhig. Wir saßen ziemlich zentral am Gang, und dennoch hatte ihn bisher niemand um ein Autogramm gebeten. Seit er in der ENTER-EINS-Serie (Starker Verkehr) den Bordellbetreiber spielte, der zu seinen Mädchen wie ein Vater war, stieg sein Bekanntheitsgrad von Woche zu Woche. Wir kannten ihn vom Stadttheater Bramme her, wo er mit dem «Peer Gynt» gastiert hatte. Heike war seinerzeit beim Brammer Tageblatt als Volontärin verdonnert worden, ins Theater zu gehen und Kritiken zu schreiben.
    «Ich kann’s nicht fassen...» Sie sah Friedhelm Rott kopfschüttelnd an. «Sechsundsechzig Jahre – und kein bißchen weise.»
    «Wieso?»
    «Weil du jetzt so ’n Serienscheiß machst. Burgtheater, München, Bochum, Berliner Ensemble, Schiller-Theater – und dann EN-TER-EINS. Vom Himmel in die tiefsten Klüfte...»
    Friedhelm Rott breitete die Arme aus. «Der Ehre / Stoff ist freilich ein so zarter, / daß ein Blick sie schon erschüttert, / daß ein Lufthauch sie bemakelt.» Er sank seufzend in sich zusammen. «Ja, ja... Calderón, ‹Das Leben ein Traum›. Ein Alptraum dagegen die Schließung meines Schiller-Theaters. Oper bleibt, Siemens bleibt, Autobahn bleibt, Olympia-Stadion bleibt – Theater bleibt nicht. Und bei ENTER-EINS, da zahlen sie Traumgagen. Das sind die Alchimisten von heute: aus Scheiße machen sie Gold.»
    Wir bestellten uns eine Fischplatte für drei Personen. Dann endlich kam ein junger Bankkaufmann vorbei und rief Friedhelm Rott ein lautes Hallo zu. «Toll, Sie mal live zu sehen. Gibt’s Ihr Bordell denn wirklich?»
    «Die ganze Welt ist ein Bordell. Und wir alle sind nur Prostituierte und verkaufen uns. Den Körper, die Seele, den Geist. An unsere Arbeitgeber, an unseren Staat, an unser Publikum – ans Gut, ans Geld, ans Gold.»
    Heike klatschte Beifall. «Drei Vorhänge für Friedhelm Rott!»
    Ich wußte, daß unser Schauspielerfreund Kalauer liebte. «Nichts mehr gilt die Nomie, das Auto ist alles.»
    Eine knackige Friseuse trat an unseren Tisch und fragte Friedhelm, ob sie nicht noch ein blondes Mädchen für die Serie brauchten.
    Ich war nicht mehr zu halten. «Dann will ich aber auch ’ne Rolle als Freier haben.»
    «Bin ich der Produzent...» Friedhelm Rott drückte uns beiden ein Kärtchen in die Hand. «Ruft da mal an...»
    Die Schöne rückte ab und Friedhelm stöhnte. «Bist du erst einmal in einer Serie, geht dir aber auch jede Privatheit verloren.»
    «Narzißtische Unersättlichkeit versus Schneckenhaussyndrom.» Heike hatte für alles eine psychologische Deutung. «Vielleicht fragst du uns mal bitte, wie es uns denn geht...»
    «Wie geht es euch denn?»
    «Junge Mutter, alter Vater: Sylvester ist da.»
    «Seid umarmt!» Er sprang auf und erdrückte uns fast. «Warum aber dieser nicht eben häufige Name?»
    «Weil es Sylvester passiert ist.»
    «Himmelfahrt wäre schlimmer... Oder Fronleichnam erst.»
    «Sylvester heißt der ‹Waldmann›, von silva, der Wald. Weil er den Wald so liebt.» Heike piekte mir den Finger in die Rippen.
    «Ja: Im Wald und auf der Heike, äh: Heide, da hab ich meine Freide.»
    «Schrei nicht so!» Heike versuchte mir den Mund zuzuhalten.
    «Nein, aber Sylvester II. galt um die Jahrtausendwende als der größte abendländische Gelehrte seiner Zeit.»
    Friedhelm Rott hob sein Glas. «Möge euer Sylvester der größte Gelehrte dieser Zeit werden!»
    Wir tranken auf das Wohl unseres Sohnes. Als das Gespräch ein wenig stockte, fragte ich ihn, ob er Erich Mühsam kennen würde.
    «Ja... Wir wollten mal im ‹Kotzbusser Off-Theater› seinen ‹Judas› machen, das ist ’n Arbeiterdrama, das er in seiner Haftzeit geschrieben hat. Nach der Niederwerfung der Bayerischen Räterepublik haben sie ihn ja zu fünfzehn Jahren Festungshaft verurteilt. 1924 ist er dann amnestiert worden. ‹Judas› ist ’ne Tragödie, in der er seine Erfahrungen mit der gescheiterten Revolution verarbeitet hat. Auch sein Drama (Staatsräson» ist ein starkes Stück. Das geht um Sacco und Vanzetti, die die amerikanische Justiz auf’m Gewissen hat. Aber wer spielt’n das heute noch...?»
    «Mühsam ist zu mühsam», sagte ich.
    «Dein ‹Starker Verkehr› macht eben alles kaputt», warf ihm Heike vor.
    Friedhelm Rott fauchte uns an. «Ist das ’n Tribunal hier!? Dann kann ich ja gehen!»
    «Nein, nein!» Heike legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm. «Erzähl mal was von Lia. Ist sie nicht eifersüchtig, wenn du da im Puff andauernd mit den Damen zugange bist. ..?»
    Friedhelm

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