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Ungeahnte Nebenwirkungen

Ungeahnte Nebenwirkungen

Titel: Ungeahnte Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Pearl
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wie ihre Gefühle für Mirjam bewiesen. Möglicherweise war ihr bei der Geburt ein Gen abhanden gekommen, das für die Vernunft zuständig gewesen wäre, jedenfalls würde Nicole entgegen dieser sprichwörtlichen Eigenschaft versuchen, Mirjams Verhalten zu ergründen.
    In der Bibliothek herrschte an diesem Mittwochabend Hochbetrieb. Das Wochenende, das Nicole in vertrauter und geliebter Einsamkeit zu verbringen gedachte, lag in greifbarer Nähe. Es wurde also höchste Zeit, sich mit Lesefutter einzudecken. Ganz so trübe wie noch vor einer Woche fiel die Auswahl heute aber nicht aus. Nicole hatte beschlossen, sich das Leben nicht unnötig schwer zu machen, indem sie Unverdauliches in geschriebenen Worten aufnahm.
    Zwischen den Büchergestellen der Belletristik drängten sich ungewöhnlich viele Menschen. Nicole hatte Mühe, sich ihr Lesetischchen zu sichern. Schließlich wurde ihr Platz frei, und sie konnte sich endlich mit ihren fünf Büchern, die sie im Arm hielt, setzen. So vielversprechend die Titel auch geklungen hatten, die Inhalte der ausgewählten Werke passten Nicole nicht. Nur ein Buch bestand die erste Prüfung und wurde auf den Tisch gelegt. Nicole machte sich erneut auf die Suche.
    Sie hatte die Kurve zu eng angesetzt. Mit einem Schritt zur Seite wich Nicole der Ecke des kleinen Tisches aus und stieß dafür mit einer anderen Person, die eben aus einem Quergang heraustrat, zusammen. Die Bücher auf Nicoles Arm gerieten ins Rutschen und landeten polternd auf dem Boden. Ärgerlich über ihre Ungeschicktheit ging Nicole in die Knie und sammelte die vielen zu Papier gebrachten Gedanken wieder auf.
    »Es tut mir leid, ich habe Sie nicht kommen sehen«, entschuldigte sich eine weibliche Stimme neben ihr.
    Nicoles Herz setzte für einen Schlag aus. Sie kannte die Stimme, die sich warm und weich unter ihre Haut schlich und ihr die Röte ins Gesicht trieb.
    Sie drehte den Kopf und blickte auf. »Sie?« Ihre Stimme klang nach Halsbeschwerden, nach Schleifpapier und mindestens fünf durchgefeierten Nächten.
    »Du?« fragte Mirjam fassungslos zurück.
    Sie schien ebensowenig wie Nicole zu wissen, wie sie auf dieses unerwartete Zusammentreffen reagieren sollte.
    Nicole stand auf. Ihre Knie zitterten verdächtig. Jetzt, da sich ihre Augen auf gleicher Höhe mit den blauen Kristallen der Zahnärztin befanden, begann ihr Puls zu rasen. Sie würde Opfer eines Herzinfarkts, orakelte Nicole, die haltsuchend nach einem Gegenstand griff. Es war nur eben keiner da, der ihr die nötige Stütze hätte bieten können.
    Mirjams Arme fingen sie auf, hielten sie, umarmten sie. Nicole ließ sich in sie hineinfallen, ohne sich der Gefahren bewusst zu sein, denen sie sich damit auslieferte. Mirjams Körper fühlte sich so gut an, warm und vertraut. Nicole hatte nichts vergessen, obwohl sie es sich einmal vorgenommen hatte – in einem anderen Leben. Jetzt zählten die Vorsätze nichts mehr, nur die Gegenwart dieser Frau hatte Bedeutung.
    Die Umarmung verstärkte sich, warmer Atem berührte Nicoles Gesicht. Sie drängte sich näher an Mirjam. Die Bücher auf ihrem Arm behinderten sie. Nicole langte an Mirjam vorbei und legte die dicken Wälzer auf ihr Tischchen. Endlich konnte sie Dr. Schiesser in ihre Umarmung ziehen. Nicole vergaß Zeit und Raum. Seltsamerweise schwieg das ironische Stimmchen in ihrem Hinterkopf, das sich sonst in solchen Situationen mit Vorliebe einmischte.
    Mirjams Atem ging schnell, sie hielt Nicole noch immer scheinbar stützend in ihrem Arm, doch die Zeit, die für eine solche Rettungsaktion angebracht gewesen wäre, hatten die beiden Frauen längst überschritten. Mirjam schob Nicole nach hinten, ohne sie loszulassen. Die Wand, die Nicole in ihrem Rücken spürte, gab nach, denn es war keine Mauer, sondern die Schwingtür, die zu den Lager- und Archivräumen der Bibliothek führte. Überrascht stolperte Nicole in die Dunkelheit. Mirjam dirigierte sie unbeirrt nach rechts, bis eine, diesmal feste, Wand sie aufhielt.
    »Was soll das werden?« fragte Nicole unsicher.
    Sie fühlte sich unwohl, sehr unwohl, da sie bei diesen diffusen Lichtverhältnissen Mirjams Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. Die beiden kleinen Fenster der doppelseitigen Schwingtür ließen kaum Helligkeit herein.
    »Red nicht!« befahl Mirjam heiser. »Küss mich endlich!«
    Das war keine Antwort, mit der Nicole hatte rechnen können. Sie widersprach dem abweisenden und kalten Verhalten der Zahnärztin, das diese in den vergangenen

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