Ungeahnte Nebenwirkungen
erbosten Blick, den ihre letzte Bemerkung hervorgerufen hatte, ignorierte sie großzügig.
Kaum waren sie in den Flur getreten, flog auch schon Lisa in Mirjams Arme und lenkte sie von einer vielleicht sarkastischen Erwiderung ab.
»Hallo, mein Schatz!« begrüßte sie ihr Patenkind lachend. »Herzliche Gratulation zu deinem fünften Geburtstag«, fügte Mirjam hinzu, gab dem Mädchen einen herzhaften Schmatz auf die Wange und überreichte ihr ein in buntes Papier eingepacktes Geschenk.
Lisa drehte sich nach Nicole um und musterte sie mit neugierigem Blick von oben bis unten. Sie hat Mirjams blaue Augen, stellte Nicole fest, die versuchte, die Prüfung mit möglichst unbeteiligter Miene zu überstehen.
»Du bist die Frau, bei der Mirjam jetzt wohnt?« fragte Lisa unschuldig.
So hatte es Nicole bis dahin zwar noch nicht betrachtet, doch sie nickte, denn eigentlich stimmte die Aussage im Kern.
»Hast du sie lieb?« wollte Lisa mit ernstem Gesicht von Nicole wissen.
Nicole fühlte, wie sie errötete. Da verlangte eine Fünfjährige ein offenes Bekenntnis ihrer Liebe zu Mirjam – und das vor versammelter Familie, denn inzwischen hatten der Vater und die beiden Brüder, an deren Namen sich Nicole im Moment allerdings beim besten Willen nicht erinnern konnte, den Raum betreten.
»Also sag!« forderte Lisa sie unnachgiebig auf.
»Ja, ich hab sie lieb, sehr lieb sogar!« gestand Nicole.
Sie suchte Mirjams Blick. Die strahlenden Augen ließen sie noch stärker erröten. Es war plötzlich ziemlich warm im Zimmer, registrierte Nicole.
»Dann ist gut«, entschied Lisa ernst. »Hast du mir auch etwas mitgebracht?« fragte sie.
Ach, ja, sie hatte Geburtstag.
Schnell griff Nicole in ihre Umhängetasche und zog ein Paket hervor. Zusammen mit Mirjam hatte sie gestern noch ein Geschenk für Lisa besorgt, da ihre Geliebte sie auf diese alles entscheidende Frage, die ihre Patentochter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stellen würde, hingewiesen hatte.
Lisa quietschte vergnügt, als sie die bunten Märchenkassetten auspackte. Das Geschenk erfüllte offenbar auch die pädagogischen Ansprüche der Mutter, denn Alice lächelte Nicole anerkennend zu. Der kleine Wirbelwind verschwand mit dem neuen Kassettengerät, das sie von Mirjam bekommen hatte, und den Märchen nach oben. Sie musste ihre Geschenke sofort ausprobieren.
Endlich herrschte genügend Ruhe, um die anderen Familienmitglieder in Augenschein zu nehmen. Ralf, der sie ebenso herzlich wie seine Frau begrüßte, glich Mirjam nicht besonders. Er hatte zwar auch das rundliche Gesicht mit den hohen Wangenknochen, doch damit endete die Ähnlichkeit auch schon. Sowohl Augen- als auch Haarfarbe unterschieden sich deutlich von Mirjams. Er war zudem sehr schlank und groß. Ein gutaussehender Mann, entschied Nicole.
Die beiden Söhne Markus und Michael mussten zwischen neun und zwölf sein, doch ganz sicher war sich Nicole nicht mit ihrer Schätzung, denn sie besaß nur sehr rudimentäre Erfahrungen mit Kindern – obwohl sie, nach allem, was sie wusste, fünf Neffen und Nichten hatte.
Das Essen im Kreis der Familie gehörte zu den lustigsten und unterhaltsamsten Erlebnissen, die Nicole bis dahin gemacht hatte. Die drei Kinder gaben ihre anfängliche Zurückhaltung bald auf und sprudelten mit ihren Geschichten heraus, die alle erheiterten. Natürlich war eine ordnende Hand – oder Stimme – vonnöten, denn die drei buhlten um die Aufmerksamkeit der Erwachsenen, so dass das Esszimmer von einem lauten Summen und durcheinander redenden und rufenden Stimmen erfüllt war.
Alice meisterte ihre Aufgabe als Moderatorin mit Bravour, wie Nicole verwundert feststellte. Sie selbst wäre in der gleichen Situation wohl hoffnungslos überfordert gewesen.
Während des Essens blickte Nicole immer wieder zu Mirjam, die ihr gegenübersaß und sich vor allem mit Lisa beschäftigte. Sie schien ganz in ihrer Aufgabe als Patentante aufzugehen. Manchmal fing sie Nicoles Blick auf, lächelte sie an. Sie war glücklich, einfach glücklich, stellte Nicole verwundert fest, und dieses Glück steckte sie selbst an, fügte sie überrascht hinzu.
Nachdem die Kinder den Tisch abgeräumt hatten, zogen sie sich in die Zimmer im zweiten Stock zurück, um zu spielen oder, wie Michael mit säuerlicher Miene kundtat, Hausaufgaben zu machen.
Die vier Erwachsenen setzten sich mit einem Kaffee bewaffnet in die gemütliche Sitzgarnitur. Ganz selbstverständlich hatte sich Mirjam neben
Weitere Kostenlose Bücher