Ungeahnte Nebenwirkungen
lebendig, die ihren Seelenfrieden störten!
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D ie Aushilfe, die Mirjam angetreten hatte, war auf zwei Monate beschränkt. Sie kehrte jeden Abend nach Hause – zu Nicole – zurück, doch meistens wurde es so spät, dass sie nur noch erschöpft ins Bett fiel und wenig später eingeschlafen war.
Nicole vermisste ihre Geliebte, wenn sie abends nach Hause kam. Sie hatte sich daran gewöhnt, einen gedeckten Tisch vorzufinden, sich einfach auf die Couch setzen zu können, den Feierabend zusammen mit Mirjam zu genießen. Noch mehr als die warme und vollwertige Küche, für die sich die Zahnärztin verantwortlich gezeichnet hatte, vermisste sie aber einfach ihre Anwesenheit.
Seit dem Missverständnis mit der vermeintlichen Schiesser-Familie redeten sie anders miteinander. Fast unbemerkt öffnete sich der kleine Riss in Mirjams Panzer Millimeter für Millimeter. Sie legte nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage, zensierte ihre Aussagen viel weniger und gab sich manchmal schon fast spontan.
Nicole gratulierte sich zu ihrem Langmut, der diese Entwicklung überhaupt erst ermöglicht hatte. Wüssten ihre Schwestern, wieviel Geduld sie besaß, wenn es um etwas ging, das ihr wirklich wichtig war, sie würden es nicht für möglich halten, denn sie hatte als Teenager im Ruf gestanden, immer mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, alles lieber gestern als morgen zu erledigen. Ich werde älter und weiser, schloss Nicole daraus. Vielleicht liegt das aber auch einfach daran, dass ich keine Zähne mehr habe, die mir die Weisheit entziehen? Sie grinste. Nie hätte sie gedacht, dass Weisheitszähne aus einer anderen Perspektive betrachtet durchaus positive Nebenwirkungen haben können.
Ganz so abgeklärt konnte Nicole aber nicht mit allem, was Mirjam betraf, umgehen.
Ihr ging das Bild im Wohnzimmer nicht aus dem Kopf. Mirjams lächelndes, glückliches Gesicht hatte sich tief in ihr eingebrannt. Es war fraglos ein schönes Bild. Das Problem stellte die Verbindung zu Michaela dar, die ihr dadurch immer vor Augen geführt wurde. Wieso hatte diese Michaela sterben müssen? Sie hätte Mirjam doch einfach verlassen können. Sicher hätte das auch geschmerzt, doch die Wunde wäre irgendwann verheilt, mindestens vernarbt und sie, Nicole, hätte eine reelle Chance besessen, Mirjams Herz zu erobern. Der endgültige Abgang dieser Michaela aber minimierte ihre Aussichten drastisch. Sie kam sich vor, als kämpfe sie gegen einen Geist, als stünde immer jemand zwischen ihr und Mirjam, obwohl die Zahnärztin Michaela seit jenem Abend mit keinem Wort mehr erwähnte.
Reichte ihre Geduld? fragte sich Nicole, die es sich auf der Couch bequem gemacht hatte und auf Mirjam wartete. Ihre Beziehung – oder war es doch eher nur eine Affäre? – dauerte jetzt schon ein halbes Jahr, doch Nicole fühlte sich mit jedem Tag unsicherer, was ihre Zukunft mit der Zahnärztin betraf.
Mirjam auf ihre Vorstellungen und Wünsche anzusprechen brachte nichts. Nicole würde keine Antwort bekommen, die sie weiterbrachte. Mirjam schien ihr Arrangement in Ordnung zu finden. Für sie reichte es, jemanden zu haben, der für sie da war, der ihr körperliche Wärme gab, mit dem sie ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben konnte und der ihr, wenn nötig, auch zuhörte. Mehr wollte sie nicht. Vor allem würde sie das Wort Liebe niemals im Zusammenhang mit Nicole aussprechen, das hatte sie ihr deutlich zu verstehen gegeben.
Entging es Mirjam tatsächlich, dass es in die umgekehrte Richtung nicht ganz so optimal funktionierte? Nicole schüttelte unwillig den Kopf. Sie wünschte sich Offenheit und Vertrauen. Sie wünschte sich festen Boden unter den Füßen. Doch was bekam sie? Ein Häppchen Vergangenheit, eine Prise Gegenwart und einen Schimmer Zukunft, von dem sie noch nicht mal wusste, ob sie sich den nicht einfach nur einbildete. Es reichte ihr nicht, bei weitem nicht.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, musste Nicole zugeben, dass Mirjam nicht sehr viel von ihr verlangte, praktisch nichts von ihr forderte. Sie fragte sie nicht nach ihrem Leben. Zwar hörte sie interessiert zu, wenn Nicole etwas erzählte, doch es schien sie nicht zu beunruhigen, wenn Nicole schwieg oder ablenkte. Sie stellte Fragen, wenn es von ihr erwartet wurde, sie nickte, wo es angebracht war, doch sie entwickelte keine Eigeninitiative, die sich Nicole eigentlich von ihr gewünscht hätte.
Musste Nicole eine Entscheidung fällen? Sich vielleicht gar von Mirjam trennen? Dieser Gedanke ließ
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