Ungeahnte Nebenwirkungen
mehr kommen, sonst würde die Psychologin, Mutter und Zahnarztgehilfin wohl nicht so abgrundtief und vor allem häufig seufzen. »Es ist halt so, dass dieser Tag immer ein ganz besonderer für Mirjam und Michaela war. Sie starteten jedes Jahr eine verrückte Aktion, schmissen eine Party, von der nachher noch monatelang geredet wurde. Es war ihr Tag!« erläuterte Alice.
Nicole war bei Michaelas Namen sichtlich zusammengezuckt. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht und sie fühlte, wie sich ein Zittern durch ihren Körper stahl. Verdammt noch mal! Michaela! Sie hatte gehofft, diese Frau endlich aus ihrem gemeinsamen Leben verbannt zu haben. Jetzt stand Mirjams Geburtstag vor der Tür, und Michaela mischte sich wieder ein, störte die Harmonie. Sie hätte sie umbringen können, doch dafür war es erwiesenermaßen zu spät, sechzehn Jahre zu spät.
Wie hatte Mirjam ihre letzten Geburtstage gefeiert? Die Psychologin in Alice war in Aktion getreten und analysierte Nicoles Gesichtsausdruck.
»Du kannst Michaela nicht aus eurem Leben heraushalten«, informierte sie Nicole.
»Michaela wird immer ein Teil von Mirjam bleiben, egal, wie weit ihr Todestag zurückliegt. Und es wird immer Situationen geben, die Mirjam an sie erinnern. Tage, an denen Mirjam näher bei Michaela als bei dir sein wird!« Alice holte Luft. »Du musst es akzeptieren, Nicole. Wenn du Mirjam liebst, musst du Michaela als einen Teil von ihr annehmen, sonst wirst du sie verlieren!«
Deutlicher konnte das Urteil nicht ausgesprochen werden. Es war eine vernichtende Aussicht, dachte Nicole gekränkt. Eine Dreierbeziehung: Mirjam, Michaela und dann, irgendwann, Nicole? Besten Dank, so hatte sie sich ihre Partnerschaft bestimmt nicht vorgestellt. Konnte sie denn wirklich nichts daran ändern? Hatte sie Michaelas Schatten nicht vertrieben, vor Wochen in Spanien? Alles eine Farce? Alles nur ein Spiel? Das konnte unmöglich sein!
Nicole versuchte Alice ihren Ärger nicht spüren zu lassen, denn sie konnte nun wirklich nichts dafür. »Wenn du meinst«, sagte sie so ruhig wie möglich, »doch was schlägst du nun konkret vor? Wie könnte ich Mirjam eine Freude bereiten?«
Das Schweigen gegenüber dauerte an. Schließlich meinte Alice: »Am besten, du lässt sie an diesem Tag einfach in Ruhe. Sie wird sich zurückziehen, wahrscheinlich nicht besonders kontaktfreudig sein. Lass sie machen, was sie möchte, dringe nicht in sie und vor allem, versuche nicht, sie aus der Reserve zu locken.«
Die Überraschungsparty war gestrichen, das große Geschenk mit roter Schleife ebenfalls. War es denn wenigstens gestattet, ihr die besten Wünsche für die Zukunft zu überbringen?
Alice schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht«, riet sie.
Himmel noch mal! Jetzt begann die Wut, die bis zu diesem Zeitpunkt auf Sparflamme in Nicole vor sich hergeköchelt hatte, ziemlich heftig zu sieden. Sie brauchte ihre ganze Selbstbeherrschung, um nicht aufzuspringen und auf den Tisch zu schlagen. Mühsam schluckte Nicole. Sie versuchte sich mit Atemübungen wieder unter Kontrolle zu bringen.
Gut, entschied Nicole, sie würde Mirjam dieses eine Mal nicht auf ihren Geburtstag ansprechen, doch wenn sie selbst Michaela erwähnen sollte, dann könnte sie sich wahrscheinlich nicht zurückhalten. Vielleicht musste sie ihre Pläne völlig auf den Kopf stellen und sich an diesem einen Tag aus dem Staub machen, unsichtbar werden.
Einmal mach ich das mit, doch nur ein einziges Mal, schwor sich Nicole, als sie das Café verließ.
Sie legte einen kurzen Zwischenstopp in ihrer Wohnung ein, holte den Trainingsanzug und malträtierte anschließend ihren Körper zwei Stunden lang im Fitnesscenter.
~*~*~*~
D ie Kälte an diesem Dezembermorgen ließ Nicoles Atem gefrieren. Sie joggte durch den Stadtpark, obwohl sie diese Art der Fortbewegung unter normalen Umständen zutiefst verabscheute. Die letzten Tage konnte man aber beim besten Willen nicht als normal bezeichnen. Fast stündlich hatte sich Mirjam mehr in ihr Schneckenhaus zurückgezogen, antwortete auf Nicoles vorsichtig formulierte Fragen nur noch ausweichend.
Abends legte sich Mirjam auf »ihre« Seite des Bettes und wehrte die behutsamen Annäherungsversuche ihrer Partnerin unmissverständlich ab.
Gestern hatte Mirjam dem Drama die Krone aufgesetzt. Sie war nach dem Abendessen aufgestanden, hatte ihren Mantel von der Garderobe genommen und hatte Nicole tonlos mitgeteilt, sie werde die Nacht in ihrer eigenen Wohnung verbringen. Nicole,
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