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Ungeahnte Nebenwirkungen

Ungeahnte Nebenwirkungen

Titel: Ungeahnte Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Pearl
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unfähig zu reagieren, hatte nur dagesessen und gewartet, bis die Tür ins Schloss gefallen war. Dann stand sie auf, ging zum Fenster und blickte Mirjam nach, die sich eilig mit hochgeschlagenem Mantelkragen aus ihrem Gesichtsfeld fortbewegte.
    Nicole fühlte, wie Tränen über ihre Wangen rannen, doch sie konnte nichts dagegen tun. Sie wollte Mirjam zurückholen, aber ihr fehlten die Argumente. Sie hätte vor Wut toben sollen, doch sie fühlte sich nur leer und unsagbar traurig.
    Nach der schlaflosen Nacht, in der Michaela post mortem mit Verwünschungen aller Art bedacht worden war, hatte sich Nicole noch zu unchristlich früher Morgenstunde auf den Weg in den Park gemacht. Sie musste dringend ihre Aggressionen abbauen. Mit verbissenem Gesicht rannte sie durch die menschenleere Grünanlage, deren Rasenflächen statt mit Gänseblümchen mit Raureif bedeckt waren.
    Die Geschäftsfrau stoppte atemlos vor dem zugefrorenen Teich. Ihre Lunge brannte, das Seitenstechen erschwerte ihr das Atmen, doch die Wut und Enttäuschung, die sie vor ihrem Lauf empfunden hatte, waren nicht gewichen.
    »Ich hab’s doch gleich gewusst«, schimpfte Nicole vor sich her, als sie sich nun langsam auf den Rückweg machte, »das Joggen ist nur Schinderei und bringt rein gar nichts!«
    Zu Hause wärmte sie sich unter der Dusche auf und wartete anschließend bei ihrer vierten Tasse Kaffee darauf, dass es endlich Zeit wurde, um zur Arbeit zu gehen.
    Irgendwie war der Tag vorübergegangen. Nicole hatte nicht mitbekommen, wie, denn ihre Gedanken weilten bei Mirjam. Als sie abends völlig erledigt die Wohnungstür aufschließen wollte, stellte sie fest, dass sie schon offen war.
    Aus der Küche vernahm Nicole das vertraute Klappern von Töpfen und Pfannen. Mirjam kochte? fragte sie sich ziemlich irritiert.
    »Hallo, Süße«, begrüßte Mirjam sie mit einem, wie es Nicole schien, gequälten Lächeln. »Du kommst gerade recht, das Essen ist fertig.«
    Immer noch verwirrt setzte sich Nicole an den Tisch. Mirjam trug die Schüsseln auf und nahm ebenfalls Platz. Zwischen den beiden Frauen herrschte lähmendes Schweigen, während sie sich dem Verzehr des Salats mit unnötiger Konzentration widmeten.
    Mirjam seufzte. Sie suchte Nicoles Blick, fing ihn ein mit ihren blauen Augen, um die ein seltsamer Schleier lag. Sie hat nicht geschlafen, ging es Nicole durch den Kopf. Und sie hat geweint, dachte sie als zweites. Nicole konnte sich nicht entscheiden, welchem Gefühl sie den Vortritt lassen sollte, der Eifersucht, ihrer Wut? Oder doch eher ihrer Liebe und dem fast grenzenlosen Mitgefühl?
    »Es tut mir leid, dass ich nicht fröhlicher bin«, sagte Mirjam leise in Nicoles Gedanken hinein. »Es ist eben nur so, dass ich dauernd an Michaela denken muss. Sie fehlt mir, sie fehlt mir so sehr«, flüsterte sie.
    Nicole sah die Tränen, hörte den Schmerz in Mirjams Stimme. In ihr geriet etwas außer Kontrolle. Die Eifersucht auf diese Frau, die ihre Geliebte selbst nach so langer Zeit weinen ließ, die Wut auf Michaela, die der Grund für ihr eigenes Ausgeschlossensein war, überschwemmten sie mit plötzlicher Heftigkeit.
    »Nein, Mirjam, so geht das nicht!« hörte sich Nicole gefährlich leise sagen. »Ich kann den Namen nicht mehr hören, ich will ihn nicht mehr hören, nicht hier! Vergiss sie endlich!« Nicole flüsterte noch immer, doch die Schärfe ihrer Worte schnitten ihr selbst tief ins Herz.
    Mirjams Augen weiteten sich erschrocken. Fast hilflos blickte sie Nicole an. »Michaela ist ein Teil von mir, ich kann sie nicht vergessen!« Sie neigte sich weit über den Tisch. »Verstehst du mich denn nicht?« fragte sie flehend.
    Nicole sprang auf. Sie begann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Nein, verdammt noch mal!« rief sie aus.
    »Ich habe mir ein Jahr lang auf die Zunge gebissen, habe versucht zu schweigen, wenn Michaela wieder einmal deine Laune zum Teufel geschickt hat, dich zu trösten, deinen Schmerz zu akzeptieren, aber jetzt ist’s endgültig genug!« Nicoles Worte überschlugen sich. Sie konnte sich nicht mehr bremsen. Es musste gesagt sein, hier und jetzt und schonungslos. Das Maß war voll, übervoll! »Mirjam, du musst dich entscheiden: entweder Michaela oder ich!« Erschrocken hielt Nicole inne.
    Das hatte sie doch nicht wirklich gesagt? Um Gottes Willen, was würde sie tun, wenn sich Mirjam für eine Tote entschied?
    Mirjam war aufgestanden. Sie trat dicht vor Nicole. Ihre Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Sie schauten leer, traurig,

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