Ungeduld des Herzens.
Tumults und laufe ohne Abschied hinaus. Vielleicht merken sie's nicht. Und wenn sie's merken, mir ist schon alles gleichgültig, ich kann's einfach nicht mehr ertragen, dieses Lachen, nicht diese behagliche, sich gleichsam selber den vollen Bauch beklopfende Lustigkeit. Ich kann nicht, ich kann nicht!
»Gehen Herr Leutnant schon?« fragt bei der Garderobe erstaunt die Ordonnanz. Hol dich der Teufel, murre ich innerlich und schiebe ohne ein Wort an ihm vorbei. Nur die Straße hinüber, rasch ums Eck und die Treppen der Kaserne in mein Stockwerk hinauf: allein sein, allein!
Die Gänge dünsten leer, irgendwo geht schrittauf, schrittab eine Wache, ein Wasserhahn rauscht, ein Stiefel fällt, nur aus einem der Mannschaftszimmer, wo schon vorschriftsmäßig dunkelgemacht ist, tönt etwas weichund fremd. Unwillkürlich horche ich hin: ein paar der ruthenischen Burschen singen oder summen leise zusammen ein melancholisches Lied. Immer vor dem Einschlafen, wenn sie das fremde bunte Kleid mit den Messingknöpfen ausziehen und sie wieder nichts als der nackte Mensch werden, der zu Haus im Stroh lag, erinnern sie sich an die Heimat, an die Felder oder vielleicht an ein Mädel, das sie gern hatten, und dann singen sie, um zu vergessen, wie fern sie sind, diese wehmütigen Melodien. Sonst hatte ich auf dieses Summen und Singen nie achtgehabt, weil ich die Worte nicht verstehe, diesmal aber ergreift mich brüderlich ihre fremde Traurigkeit. Ach, hinsetzen sich zu einem, mit ihm sprechen, der's nicht begreifen würde und vielleicht doch mit einem mitfühlenden Blick seiner kuhhaften guten Augen alles besser verstünde als die drüben, die Lustigen am Hufeisentisch. Nur jemanden haben, der einem hilft aus dieser heillosen Verstrickung!
Auf den Zehenspitzen, um Kusma, meinen Burschen, nicht zu wecken, der mit schweren schnarchigen Atemzügen im Vorraum schläft, schleiche ich in mein Zimmer, werfe im Dunkel die Kappe weg, reiße den Säbel ab und die Halsbinde weg, die mich schon lange würgt und engt. Dann entzünde ich die Lampe und trete an den Tisch, um jetzt endlich, endlich in Ruhe den Brief zu lesen, den ersten erschütternden, den mir jungem, ungewissem Menschen eine Frau geschrieben.
Aber im nächsten Augenblick schrecke ich auf. Denn da auf dem Tisch liegt schon – wie ist das möglich? – der Brief im Lichtkreis der Lampe, der Brief, den ich eben noch in der Brusttasche verborgen meinte, – ja, da liegt er, blau, rechteckiges Kuvert, die wohlbekannte Schrift.
Einen Augenblick taumle ich. Bin ich betrunken? Träume ich mit offenen Augen? Bin ich nicht mehr bei Sinnen?Ich hatte doch eben noch, bei dem Aufreißen des Rocks, deutlich das Knistern des Briefes in der Brusttasche gespürt. Bin ich schon so verstört, daß ich ihn herauslegte, ohne eine Minute später noch davon zu wissen? Ich greife in die Tasche. Nein – es war ja nicht anders möglich – da steckt er noch geruhig der Brief. Und jetzt verstehe ich erst, was vorgeht. Jetzt erst werde ich ganz wach. Dieser Brief auf dem Tisch muß ein neuer, ein zweiter, ein anderer, ein später gekommener sein, und der brave Kusma hat ihn mir vorsorglich neben die Thermosflasche gelegt, damit ich ihn heimkehrend gleich finde.
Noch ein Brief! Noch ein zweiter, innerhalb von zwei Stunden! Sofort pappt sich mir die Kehle zu mit Ärger und Zorn. So wird das jetzt jeden Tag weitergehen, jeden Tag, jede Nacht, Brief auf Brief, einer nach dem andern. Wenn ich ihr schreibe, wird sie mir wieder schreiben, wenn ich nicht antworte, wird sie Antwort fordern. Immer wird sie etwas von mir wollen, jeden Tag, jeden Tag! Sie wird mir Boten schicken und mich antelephonieren, sie wird mich umlauern und umlauern lassen bei jedem Schritt, wird wissen wollen, wann ich ausgehe und zurückkomme, mit wem ich bin und was ich sage und tue und treibe. Ich sehe schon, ich bin verloren – sie lassen mich nicht mehr los – oh, der Djinn, der Djinn, der Alte und der Krüppel! Nie werde ich mehr frei sein, nie geben diese Gierigen, diese Verzweifelten mich mehr frei, bis nicht einer von uns zerstört ist, sie oder ich, durch diese unsinnige, unselige Leidenschaft.
Nicht lesen, sage ich mir. Keinesfalls heute noch lesen. Überhaupt dich nicht mehr einlassen! Du hast nicht Kraft genug gegen dies Ziehen und Zerren, es wird dich zerreißen. Besser den Brief einfach vernichten oder uneröffnet zurückschicken! Überhaupt sich's nicht ins Bewußtsein, ins Wissen, ins Gewissen zwängen lassen, daß
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