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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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völlig.
    »Wann hätte Herr Doktor Levant denn dann Zeit?«
    Der Typ war hartnäckig. Susann musterte die dünnen Streifen seines dunkelgrauen Jacketts. Es sah teuer aus. Und er roch auch teuer. En bisschen nach Zitronengras mit einem Hauch Kardamom.
    »Ab siebzehn Uhr wird es ruhiger. Und jetzt…«, die Schwester machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung
Tür, »… entschuldigen Sie uns.« Sie setzte noch ein genervtes »Bitte« hinzu und versuchte dann, an dem Vertreter vorbei zu den vier Leuten hinter ihm zu schauen. Der Mann drehte sich um, und sein Blick verhakte sich für eine Sekunde in Susanns Gesicht.
    Seine Augen hatten einen beunruhigend durchscheinenden Bernsteinton. Dann eilte er hinaus, die große schwarze Aktentasche unter dem Arm; und schon in dem Moment, als Susann ihre Chipkarte zückte, hatte sie die Begegnung vergessen.
     
    »Ja, ich war bei Doktor Levant. Nein, das war nur ein Kontrolltermin. Ich fahre jetzt noch zum Supermarkt. Soll ich uns für heute Abend eine Pizza mitbringen?« Susann wühlte in ihrer Umhängetasche nach dem Notizzettel, das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt. »Mach ich. Du auch! Bis später!« Sie machte einen spitzen Mund, hauchte einen Kuss ins Telefon und sah sich um, ob jemand ihre Albernheit bemerkt hatte. Dann warf sie das Handy in die Tasche, betrachtete noch kurz den Einkaufszettel und lief los. Hinter ihrem Rücken trat ein Mann aus einer Einfahrt und setzte sich in Bewegung.
    »Manfred Drechsel, der Leiter des Jugendamts, sagte aus, dass Dennis’ Mutter der Behörde bekannt gewesen sei. Die Mitarbeiter hätten der 23-Jährigen gerade erst eine günstige Sozialprognose gestellt.« Lara hielt kurz im Tippen inne und schüttelte den Kopf. Dann sah sie sich um. In der Redaktion herrschte mittägliche Ruhe. Es war doch immer wieder die gleiche Farce. Die Beamten waren entweder nachlässig, bemerkten bei Kontrollen nichts oder waren einfach der Überzeugung,
alles sei in bester Ordnung. Man fragte sich jedes Mal, ob das Jugendamt seine Aufgaben wirklich ernst nahm. Selbstverständlich hatten sie dann im Nachhinein nie Schuld. Nie. Lara schnaufte hörbar und sah sich um, ob jemand ihren Unmut bemerkt hatte, aber der Raum war leer. Dass das Jugendamt fahrlässig gearbeitet hatte, konnte man so natürlich nicht schreiben. Aber die Leser waren in der Lage, selbst Schlussfolgerungen aus den geschilderten Fakten zu ziehen.
    Aus dem Nebenzimmer drang Gelächter herein. Wahrscheinlich schäkerte Tom mal wieder mit der Praktikantin. Lara blickte kurz auf ihre Notizen und senkte dann die Hände wieder auf die Tastatur. Wenn sie sich nicht ein bisschen beeilte, würde sie heute Abend noch hier sitzen. »Die Behörden haben laut Aussage von Manfred Drechsel die Familie sozialpädagogisch betreut. Für die Frau sei eine Qualifizierungsmaßnahme organisiert worden, da sie keine Berufsausbildung hatte. Auch sei der dreijährige Junge bis Mitte März in eine Kindertagesstätte gegangen. Die Erzieherinnen hätten keine Anzeichen einer Unterernährung bemerkt.« Natürlich nicht. Keiner hatte etwas bemerkt. Lara unterdrückte den Zorn. Die Berichterstattung musste sachlich bleiben.
    Hinter ihr klappte die Tür, und sie sah sich um. »Na, fertig?« Tom schlenderte herein, ein halbes Grinsen im Gesicht, die Rechte lässig in eine Gürtelschlaufe eingehängt.
    »Noch nicht ganz.«
    »Ich muss meinen Text auch noch überarbeiten.« Er setzte sich auf seinen Drehstuhl und wippte hin und her. »Und dann gehe ich mit Isi Eis essen. Willst du mitkommen?«
    Lara überlegte kurz. »Nein, danke.« Sie liebte Eis. Aber das alberne Gekicher der Praktikantin, das auf jede, auch noch so sinnlose Bemerkung Toms folgte, ertrug sie nur bedingt.
Heute würde Lara wahrscheinlich beim ersten Satz der Spätpubertierenden austicken.
    »Musst du morgen wieder ins Gericht?«
    »Ja. Morgen ist das Umfeld der Mutter dran, Nachbarn, Bekannte. Der Vater des kleinen Dennis sitzt übrigens.«
    »Ach was! Weswegen?«
    »Das wissen wir noch nicht genau. Wohl wegen irgendwelcher Drogendelikte, hat Frank Schweizer von der Tagespost gesagt.« En kurzes Schulterzucken.
    »Ach, der war auch da?«
    »Ja sicher. Und rate mal, wen wir noch gesehen haben.« Als der Satz heraus war, schalt Lara sich eine Närrin. Eben noch hatte sie sich gewünscht, dass Tom mit dem Smalltalk aufhören möge, und nun machte sie auch noch mit.
    »Keine Ahnung. Aber du wirst es mir bestimmt gleich verraten.« En schmieriges

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