Ungeheuer
begonnen wie jeder andere Arbeitstag auch: aufstehen, frühstücken, den Kofferraum mit Ware und Werbung beladen. Große Städte besaßen zahllose Arztpraxen, und es war nie abzusehen, wie viele er an einem Tag schaffen würde.
Er drehte die Schreibtischlampe so, dass sie genau in die kleinen Kämmerchen im Innern des Herzens leuchtete. Sie wirkten sehr glatt und heller als die dicke äußere Schicht. Das Herz war ein zäher Muskel.
Seine Mutter hatte oft Nudeln mit Herz gekocht. Das Fleisch brauchte ewig, bis es weich war. Die ganze Küche war von weißlichem Dampf und widerlichem Kochfleischdunst erfüllt gewesen, der sich wie ein feuchter Lappen auf Mund und Nase gelegt und ihm den Atem genommen hatte.
Der Mann blickte zum Herd und schluckte. Ihn hatten die weißen Schichten und Stränge an den Fleischrändern angeekelt. Einmal war der Brechreiz so übermächtig geworden, dass er die hastig hinuntergeschlungene Suppe wieder in den halbleeren Teller gekotzt hatte. Bröckchen halbgekauten Muskelfleischs waren neben Nudelresten in das weiße Halbrund geplatscht, Fettspritzer hatten sich verteilt und Mamas feines Damasttuch befleckt. Drei Tage Arrest bei Wasser und Brot im Keller waren die Folge gewesen. In der Schule vermisste ihn bei solchen Strafaktionen keiner – Mutter hatte ihn immer gleich krankgemeldet.
Zitternd schwebte das Skalpell über dem Objekt in der Sezierschale. Der Mann schloss kurz die Augen und suchte nach
ein paar lateinischen Sätzen, die zu dieser wissenschaftlichen Tätigkeit passten, um zu seiner Konzentration zurückzufinden. Das Beben der Finger beruhigte sich allmählich, so wie sich sein Atem wieder normalisierte. Die alte Hexe war tot und konnte ihm nichts mehr anhaben. Er würde nie wieder Nudeln mit Herz essen müssen. Und es wurde auch allmählich Zeit, dass er sich wie ein Wissenschaftler verhielt und die Gebilde in den Sezierschalen als das betrachtete, was sie waren – Material für sein Kunstwerk. Nichts von dem, was hier vor ihm lag, hatte etwas mit seiner Kindheit oder Nahrung zu tun. Dieses Herz hier war kein totes Fleisch, sondern Rohstoff, sonst nichts. Jetzt strömte die Luft sanft ein und aus. Doctor Nex war bereit zu neuen Taten.
Druckvoll bohrte sich die gebogene Chirurgennadel durch die Wundränder. Statt chirurgischen Nahtmaterials hatte er Fleischerfaden genommen; straffes Garn, mit dem Metzger ihre Würste banden und Rouladen umwickelten. Die Naht sollte sich schließlich nicht nach einer Weile auflösen, sondern das Kunstwerk dauerhaft fest zusammenhalten.
Das blonde Rehlein von heute Nachmittag ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Sie hatte zart und zerbrechlich und gleichzeitig sportlich gewirkt. Sportlich war nützlich. Die Haut war dann fester, nicht so teigig und schwabbelig. Und wenn sie, vollgepumpt mit Adrenalin, längere Strecken durch den Wald lief, würde eine trainiertere Frau auch nicht so schnell müde. Vor seinem inneren Auge stiegen die Bilder der Jagd wieder vor ihm auf, während er mit der gebogenen Nadel mechanisch Stich für Stich ausführte.
Die Frau von heute war höchstens fünfundzwanzig. Das konnte man gerade noch gelten lassen. Ihre Hüften hatten sich beim Gehen hin- und herbewegt. Das lange Blondhaar
hatte bei jedem Schritt mitgefedert. Der Mann hatte sich seine trockenen Lippen geleckt. Als das Blondchen in einem Supermarkt verschwunden war, hatte er seine Schritte beschleunigt, war an dem Geschäft vorbeigelaufen und hatte sich drei Häuser weiter seitlich vor ein Schaufenster gestellt, wo es geschlagene zwanzig Minuten dauerte, bis die Blonde wieder herauskam. Sie war in die andere Richtung gegangen, und er folgte ihr, gemächlich schlendernd, wie ein Spaziergänger beim Einkaufsbummel. Das Jackett hatte er zusammengerollt und in der Tasche verstaut, die Hemdärmel hochgerollt. Keine gute Verkleidung, aber es musste reichen, weil er eigentlich gar nicht auf eine solche Begegnung gefasst gewesen war. Der Zufall hatte ihm ein hübsches Rehkitz über den Weg geschickt. En wunderbarer Tag.
Er schloss kurz die Augen und rief sich die glatte, zarte Haut ihres Gesichts ins Gedächtnis zurück. Nicht zu viel Sonnenbräune, kaum Make-up. Absolut perfekt. Die winzigen Sommersprossen auf der Nasenspitze störten nicht. Er wusste zwar noch nicht, wie sie hieß, aber in welchem Haus sie wohnte. Das war schon ein Anfang. Und die zierliche Blondine hatte nichts davon bemerkt, dass ihr jemand gefolgt war.
Während seine Finger den
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