Ungeheuer
Geruch der Speisen ein merkwürdiges Gemisch.
Ann-Kathrin sah Lisa nach, die mit einem Tablett, beladen mit vier Flaschen und Plastikbechern, an ihr in Richtung Fensterfront vorbeibalancierte, und entschied sich für den Gemüseauflauf.
Der Mann im Anzug schien die Parade der Speisen zu betrachten. Dann schlängelte er sich an Ann-Kathrin vorbei und blieb bei den Nachspeisen stehen. Während sie mit ihrem Teller an ihm vorbeiging, fixierten seine bernsteinfarbenen Augen ihr rotblondes Haar.
Ann-Kathrin bemerkte von alldem nichts. Als sie den anderen mit ihrem Tablett zum Tisch folgte, nahm der Mann
im Anzug drei Tische weiter hinten Platz. En feines Lächeln umspielte seine Lippen, während er genüsslich seinen Salat verzehrte.
12
Lara blendete das Klacken von Toms Tastatur aus und wandte sich wieder ihrem Artikel zu.
»Im Zusammenhang mit dem Tod des kleinen Dennis ermittelt die Staatsanwaltschaft möglicherweise schon bald wegen Mordes. Bislang lautete der Vorwurf gegen die Mutter auf Totschlag wegen Unterlassung. Es häufen sich inzwischen die Hinweise, dass die 23-Jährige ihren Sohn mindestens zwei Tage allein in der Wohnung zurückgelassen hat, bis er am Ostermontag verhungerte. Auch wird derzeit untersucht, ob das Kind bereits tot war, als die Frau den Notarzt rief. En weiterer Zeuge belastete Frau F. heute schwer.«
Lara las sich die letzten Sätze noch einmal durch. Der lapidare Berichterstattungston machte das Ganze noch schlimmer. Dazu kam, dass der Vormittag im Gericht ihre Kopfschmerzen wieder hervorgerufen hatte. Sie hatte bereits zwei Aspirin intus.
»Der Zeuge aus Bayern hat bestätigt, dass die 23-jährige Frau mit dem vier Jahre alten Bruder von Dennis mehrere Tage vor Ostern bei ihm zu Besuch gewesen ist. Damit erhärtete sich der Verdacht, dass der dreijährige Dennis allein zu Hause gelassen wurde. Vor diesem Hintergrund werden nun auch Mordmerkmale geprüft. Der Zeuge sagte aus, dass die Mutter vom Morgen des 14. April bis zum Abend des 16. April bei ihm gewesen sei, also mehr als zwei Tage. Eine weitere
Zeugin hatte im Vorfeld bereits bei der Polizei ausgesagt, dass die Mutter vor Ostern verreist gewesen sei.«
Lara schaute kurz zum Fenster. Heute war es draußen bewölkt. Der trübe Himmel passte zu ihren Sätzen.
»Zur Familie gehören noch zwei vier und sechs Jahre alte Jungen. Der Sechsjährige lebt laut Aussage des Jugendamts in einem Heim, der Vierjährige war mit dem Freund der Mutter unterwegs. Der Junge wurde in Obhut genommen. Sein Vater, der auch der Vater des zu Tode gekommenen Dennis ist, sitzt zurzeit eine Haftstrafe ab.
In der ersten Vernehmung hatte die Mutter noch angegeben, der Junge sei vor dem Osterfest krank gewesen. Die Mutter war sich anscheinend bewusst, wie ernst es um den Zustand ihres Sohnes vor seinem Tod bestellt war. Aus Angst, dass ihr Dennis genauso wie sein sechsjähriger Bruder weggenommen werden könnte, habe sie keinen Arzt gerufen. Am Ostermontag konnte der von der Mutter alarmierte Notarzt dann nur noch den Tod des Jungen feststellen …«
»O nein!« Isabell stand hinter Tom, der gerade den ersten Seitenaufriss kontrollierte, und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seinen Bildschirm. Die Hand hatte sie vor den Mund geschlagen. Ihre Augen glänzten. »Das ist ja furchtbar!«
»Ganz ruhig, Süße, ein Polizeibeamter hat das Baby aufgefangen.« Tom wandte sich zu der Praktikantin um, und Lara sah, wie er ihr zuzwinkerte. Ganz offensichtlich hatte er gerade Laras Artikel gelesen.
»O Gott! Stell dir vor, der hätte danebengegriffen!« Isabell legte Tom die Hand auf die Schulter und ließ sie dort liegen; und Lara fragte sich, ob die beiden inzwischen schon miteinander im Bett gewesen waren.
»Und was muss das für ein Gefühl für die arme Mutter gewesen sein, ihr Baby aus dem Fenster zu werfen!« Die Praktikantin löste ihre Handfläche, fuhr sich dann mit beiden Zeigefingern unter die Augen, wischte die Tränen weg, ohne die Schminke zu beschädigen, und ließ ihre Rechte wieder auf der Schulter des Kollegen landen. Sie schien tatsächlich so etwas wie Mitgefühl zu verspüren. »Wollt ihr das Foto etwa drucken?«
»Selbstverständlich.« Tom drehte sich mit dem Stuhl halb zu ihr herum. »Es ist sogar schon erschienen. Jo hat es gestern gleich weiterverkauft und nicht schlecht damit verdient.«
»Ach!«
»So ist das Leben. Hat es denn inzwischen schon neue Erkenntnisse über die Brandursache gegeben?« Jetzt drehte Tom sich zu
Weitere Kostenlose Bücher